Der Autor zahlreicher historischer Studien und Professor an der Polnischen Akademie der Wissenschaft Dariusz Libionka, erwähnt anfangs in dem nun auf deutsch übersetzten Buch „Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement“ den Antisemitismus im russischen Zarenreich und in Polen sowie Hitlers Aufstieg zum glühenden Antisemiten. Im Kapitel „An der Schwelle zur „Endlösung“ schreibt er:
„Die in der Weimarer Republik gezählten knapp 600 000 jüdischen Deutschen machten noch nicht einmal ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Die meisten von ihnen wohnten in Städten und waren zum großen Teil assimiliert. Sie engagierten sich in zahlreichen, völlig unterschiedlich agierenden religiösen und kulturellen Institutionen. Tausende Juden hatten während des Ersten Weltkriegs in den deutschen Armeen gedient. In nur wenigen Jahren zerstörte die Politik des NS-Staates die Existenzgrundlage der jüdischen Gemeinschaft.“ Es kommt im Deutschen Reich bereits 1935 zu den Nürnberger Gesetzen und den darauf folgenden Reaktionen von Nachbarländern. Libionka führt daher weiter aus: „Aus Angst vor der jüdischen Flüchtlingswelle aus Deutschland und Österreich, von wo aus sich Tausende auf den Weg machten, verschärften viele Länder ihre Einwanderungsbestimmungen. Auch Polen gehörte zu diesen Ländern.“ Was daraufhin folgt ist die „Polenaktion“, das Attentat auf den deutschen Botschaftssekretär in Paris, massive Hetze gegen Juden und Minderheiten als „Parasiten“, was durchaus Parallellen in der heutigen Zeit hat und zu den Novemberpogromen, euphemistisch als Kristallnacht bezeichnet. Schließlich der Krieg, die Besetzung Polens und die Errichtung von Ghettos sowie des „Generalgouvernements“, dem von den Deutschen 1939 bis 1945 besetzten und nicht unmittelbar annektierten polnischen Gebiet. Danach folgte das „Unternehmen Barbarossa“, also der Überfall auf die Sowjetunion. Bis Ende 1941 waren die Mehrzahl der Häftlinge in Auschwitz Polen, dann begann die „Endlösung der Judenfrage“. Mit der „Aktion Reinhardt“ wurden Juden dorthin deportiert und dort, aber auch in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka grausam umgebracht. Der millionenfache Massenmord war eine der verheerendsten und von Deutschen gründlich organisierten Auslöschungssaktionen in der Geschichte der Menschheit. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht begannen lokale Pogrome an jüdischen Mitbürgern nicht nur von SS-Einsatzgruppen, sondern auch von oder unter Mithilfe der einheimischen Bevölkerung, so wie in Lemberg oder im polnischen Jedwabne. Das alles wird in dem Buch ausgesprochen lesenswert aufbereitet und mit weniger bekannten Fotos aus jener Zeit illustriert. Zum Schluss berichtet Libionka von polnischen „Gerechten unter den Völkern“, aber auch von willfährigen einheimischen Mördern und vom weiteren Lebensweg einiger deutscher Täter. Vom oft traurigen Schicksal, der wenigen in ihre Heimat zurückkehrenden überlebenden Juden im Nachkriegspolen berichtet er nicht. Ernst Reuß Dariusz Libionka, Die Ermordung der Juden im Generalgouvernement, Aus dem Polnischen von Steffen Hänschen,Metropol Verlag, Berlin 2021, 371 Seiten, € 24.00
Am 22. Juni 1941 beginnt der deutsche Überfall auf Russland mit dem Vormarsch dreier Heeresgruppen. Rumänien, Italien, die Slowakei, Finnland und Ungarn schließen sich dem Deutschen Reich an. Der dem Angriff zugrunde liegende „Barbarossaplan“ spielt auf Kaiser Friedrich I. an, der im 12. Jahrhundert einen Kreuzzug gegen die „Ungläubigen“ angeführt hatte. Das „Unternehmen Barbarossa“, begann am Sonntag dem 22. Juni 1941 um 3 Uhr 30 früh. Da vom 22. bis 24. Juni die Tage am längsten sind, konnten die deutschen Landser bei Tageslicht auch am weitesten marschieren. Hitler und seine Generäle hatten einen Blitzkrieg von längstens vier Monaten geplant. Vorgesehenen dafür waren mehr als 3 Millionen Soldaten. Die Sowjetunion wurde zu Beginn überrannt. Das Ende ist wohlbekannt.
Drei Heeresgruppen überquerten im Schutze der Morgendämmerung die erst im Herbst 1939 frisch festgelegten Grenzen. Hitler und Stalin hatten zuvor in ihrem Pakt Polen unter sich aufgeteilt und die Grenzen neu gezogen. Der „Nichtangriffspakt“ hielt also nicht sonderlich lange und war von beiden Seiten auch nicht wirklich ernst gemeint. Sowohl Hitler als auch Stalin rechneten früher oder später mit Krieg zwischen den beiden Ländern. Stalin erwartete den Angriff allerdings nicht so früh. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn er verschlief den Angriff, weil keiner seiner Untertanen sich traute, den Tyrannen zu wecken. Jedenfalls war die Rote Armee auf diesen Angriff noch nicht vorbereitet. Ernst Reuß
Bundesarchiv, Bild 146-1974-099-19 / Kempe / CC-BY-SA 3.0
Samaryi Guraryi / Самарий Гурарий Ustinov / Александр Устинов Bundesarchiv, Bild 101I-209-0090-28 / Zoll / CC-BY-SA 3.0
Der erstmals 1322 schriftlich erwähnte Ort Mizocz beziehungsweise Misotsch ist heute eine Siedlung in der Westukraine mit etwa 3500 Einwohnern.
Kurz nach dem am 23. August 1939 im Moskauer Kreml unterzeichneten Nichtangriffspakt zwischen dem Deutschen Reich und der UdSSR, wurde das damals polnische Mizocz durch die Sowjetunion besetzt. Mit dem deutschen Angriff auf Polen am 1. September 1939 begann bereits neun Tage nach Vertragsunterzeichnung der Zweite Weltkrieg. Nicht einmal zwei Jahre danach - am 22. Juni 1941 - wurde der Nichtangriffspakt gebrochen und die deutsche Wehrmacht startete das „Unternehmen Barbarossa“. Die UdSSR wurde überfallen. Drei Heeresgruppen überquerten im Schutze der Morgendämmerung die erst im Herbst 1939 neu festgelegten Grenzen. Hitler und seine Generäle hatten einen Blitzkrieg von längstens vier Monaten geplant. Die Sowjetunion wurde zu Beginn überrannt. Auch Mizocz wurde von den Deutschen besetzt. Die nicht geflüchteten jüdischen Bewohner von Mizocz hatten von da an nicht mehr lange zu leben. Zuerst wurde ein Ghetto errichtet und die jüdischen Bewohner als Zwangsarbeiter missbraucht. Am 12. Oktober 1942 wurde das Ghetto jedoch von deutschen Polizisten und ukrainischen Freiwilligen umzingelt, um es zu liquidieren. Zwei Tage lang widersetzten sich die jüdischen Bewohner, bevor sie am 14. Oktober kapitulierten. Vielen war unterdessen die Flucht in die Wälder gelungen, was den meisten leider wenig nutzte, denn sie wurden von Angehörigen der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung aufgespürt und umgebracht. Der Rest wurde mit Lastwagen zu einem Graben gebracht. Dort wurden etwa 1500 jüdische Männer, Frauen und Kinder exekutiert. Zuvor mussten sich die in kleineren Gruppen ankommenden Menschen entkleiden und zu den bereits erschossenen Opfern legen. Zeugnis davon sind die Fotos eines aus dem Sudetenland stammende deutschen Polizisten, die 2015 im tschechischen Nationalarchiv ausfindig gemacht wurden. Eine Ausstellung und der dazugehörige Katalog zeigen erstmals den Holocaust zwischen Ostsee und Schwarzem Meer 1941-1944, bei dem über zwei Millionen Menschen Opfer von Massenerschießungen durch die SS und deutsche Polizisten sowie deren einheimische Helfer wurden. Etwa ein Drittel aller Holocaustopfer wurden also erschossen oder in Gaswagen ermordet. Die Eingangstafel der Ausstellung markiert mit schwarzen Punkten die Orte, in denen mehr als 500 Menschen exekutiert wurden. Es sind sehr, sehr viele schwarze Punkte. Ernst Reuß
Erika Summ, geborene Ohr, wurde als Tochter eines Schäfers 1921 im Hohenloher Land im heutigen Baden - Württemberg geboren. Sie erlebt dort eine scheinbar idyllische Kindheit auf dem Dorf in der Nähe von Künzelsau. Allerdings war die Idylle geprägt von harter Arbeit der Eltern, aber auch der Kinder. Ihr Bruder stirbt bei einem Arbeitsunfall. Anfang der dreißiger Jahre bricht der Nazispuk auch ins dörfliche Leben ein. Ihr Vater hatte zusammen mit seinem Bruder einen Gutshof erworben, der wenig Gewinn abwirft und die Nazis teilen das Gut unter mehreren Familien auf. Erika muss als schlecht bezahlte Magd arbeiten. Sie will aber keine Magd sein, wird Pfarrersköchin und macht schließlich eine Ausbildung zur Rotkreuzschwester. Ende 1942 muss sie in den Krieg ziehen und für eine schwer erkrankte Frontschwester einspringen.
ine abenteuerliche und lebensgefährliche Reise nach Shitomir in der Ukraine beginnt. Dort pflegt sie verwundete und verstümmelte Frontsoldaten und begleitet die vielen Sterbenden. In Shitomir sieht sie so einiges. Die Front kommt näher und schon Ende 1943 beginnt der Rückzug des Lazaretts über Polen, Ungarn, die Slowakei und Tschechien, bis Erika schließlich kurze Zeit in amerikanischer Gefangenschaft gerät. Erika Summ ist 2019 im hohen Alter von 98 Jahren verstorben. Sie war am Sonntag, den 30. Mai 2021, 23.45 Uhr, in der ZDF-Dokumentation „Unsere Mütter, unsere Großmütter. Frauen im Krieg“ zu sehen (in der Mediathek). Dort berichtet sich auch von Verbrechen hinter der Front in der Ukraine. Im Buch tut sie das nicht. Nur einmal erzählt sie eine Episode, dass ein Mann am polnischen Kloster von Tschenstochau erschossen wurde, wo sie ihr Lazarett aufgebaut hatten. „Aber anders war an den Mann nicht heranzukommen“, meint sie lapidar. Über das ungarische Pécs schreibt sie: „Die Einwohner waren uns anfangs nicht sehr wohlgesonnen, denn wenige Tage zuvor waren hier alle Juden abtransportiert worden, aber das erfuhren wir erst nach und nach.“ Recht naiv auch ihre Beobachtung, als ein älterer Einheimischer abgeführt weil, weil er mehr über die anrückende Front wusste, als von den deutschen Okkupanten gewünscht. Nah waren ihr nicht die Einheimischen, sondern die deutschen Besatzer und selbstverständlich die Patienten. Sie war eine junge, einfache Frau an der Front, die tat was ihr aufgetragen wurde, ohne ernsthaft das Warum ihres Erlebens zu hinterfragen. Trotzdem zeitgeschichtlich interessant und mit privaten Bildern schön illustriert. Ernst Reuß Erika Summ, Schäfers Tochter: Die Geschichte der Frontschwester Erika Summ. 1921-1945 (Sammlung der Zeitzeugen), Zeitgut Verlag, Berlin 2014, 192 S., 12,80 € |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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