In Österreich tut man sich immer noch schwer mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus und so wurde erstaunlicherweise anscheinend erst jetzt die erste umfassende Studie zur NS-Vergangenheit der 1955 konstituierten FPÖ veröffentlicht. Die Historikerin Margit Reiter zeigt in ihrem Buch „Die Ehemaligen“, ein Begriff, der im Kreis der Nationalsozialisten als eine Art ehrenvolle Auszeichnung galt, die personellen wie auch ideologischen Kontinuitäten zum Nationalsozialismus in der FPÖ. Sie bewerkstelligte dies, obwohl ihr das Archiv der Partei verschlossen blieb. Hilfreich dabei war der unbearbeitete Nachlass von Anton Reinthaller, dem ersten Vorsitzenden der FPÖ. Reinthaller, ein ehemaliger NS-Minister, konnte mit kurzen Unterbrechungen als Internierter, bis zu seinem Tod eine lückenlose Karriere vorweisen. Der ehemalige SS-Brigadeführer war neben 85 anderen prominenten Nazis 1945 auf der ersten österreichischen Kriegsverbrecherliste erfasst. Nach seinem Tod wurde der ehemalige SS-Obersturmführer Friedrich Peter für die nächsten zwanzig Jahre Parteivorsitzender der FPÖ. Seine SS-Division war nicht nur an Massakern im Osten beteiligt, sondern hatte auch das Blutbad in Oradour / Frankreich zu verantworten.
Der Rechtsextremismus in Österreich hatte seit den 30er Jahren eine feste Basis in der Bevölkerung. Trotzdem wurde der Anschluss von 1938 als gewaltsame und erzwungene Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich angesehen. Da dies auch von den Alliierten unterstützt worden war, griff die breite Bevölkerung nur allzu gerne auf diese moralische und politische Exkulpation zurück. „Somit konnte sich die sogenannte Opferthese hegemonial durchsetzen und wurde zum staatstragenden master narrativ der Zweiten Republik, das tief im kollektiven Gedächtnis verankert und über Jahrzehnte wirksam war“, meint die Autorin. Kein Wunder also, dass man ehemalige Nazis und Kriegsverbrecher nach dem Krieg zu rehabilitieren versuchte, was extra dafür gegründeten Vereinen relativ schnell mit Hilfe von Kirchenvertretern und den beiden Großparteien gelang. Die Internierung ehemaliger Nazis fasste man als Affront auf, man war ja schließlich Opfer und keinesfalls Täter. Man forderte einen „dicken Strich unter die Vergangenheit“, fühlte sich ungerecht verfolgt und hielt die Reintegration ehemaliger Nazis für die „große moralische Nachkriegsaufgabe Österreichs.“ Ein Teil der alten Nazis passte sich der neuen politischen Situation an und schloss sich den Großparteien ÖVP und SPÖ an. Die besonders „Gesinnungstreuen“ unter ihnen grenzten sich von diesem opportunistischen Verhalten jedoch strikt ab und gründeten ihre eigenen Parteien und Vereinigungen. 1949 zog der VdU, der „Verband der Unabhängigen“ mit fast 12 % und 16 Abgeordneten in den Nationalrat ein. Eine Vorgängerpartei der später gegründeten FPÖ, deren Auftreten im damaligen Nationalrat wie eine Blaupause für aktuelle Parteien wirkt. Laut Reiter waren beide Parteien „von ihrem Selbstverständnis, ihrer Programmatik und von ihrer personellen Zusammensetzung her das parteipolitische Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten schlechthin.“ Heutige Verbindungen der FPÖ zur Identitären Bewegung, als auch islamfeindliche und antisemitische Attacken aus ihren Reihen sind bekannt. Ernst Reuß Margit Reiter: „Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“, Wallstein-Verlag, Göttingen, 2019, 392 Seiten, 28 Euro.
Mordechai Strigler, der 1998 als 80-Jähriger in New York starb, war ein Schriftsteller, Journalist und Überlebender der Shoah. Er schuf mit seiner Buchreihe „Verloschene Lichter“ ein literarisches Denkmal für die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik.
Der beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Warschau ansässige Strigler, wurde nach Einmarsch der Deutschen zur Zwangsarbeit in unterschiedliche Arbeitslager geschickt. Er überlebte zwölf davon und emigrierte kurz nach seiner Befreiung nach Paris. Dort begann er seine Erfahrungen in literarischer Form zu verarbeiten. Eltern und drei von sieben Schwestern waren Opfer der Nazis geworden. Nach „Majdanek“ und „In den Fabriken des Todes“ erschien nun der dritte Teil in deutscher Erstausgabe. Die Bücher waren zuvor nur auf Jiddisch veröffentlicht worden. In „Werk C“ beschreibt Strigler seine Zeit im 140 km südlich von Warschau gelegenem Arbeitslager Skarzysko-Kamienna, das von der Leipziger Munitionsfabrik Hugo und Alfred Schneider AG (HASAG) betrieben wurde. Anders als im Vorgängerband, zeigt Strigler weniger die grausamen und menschenunwürdigen Produktionsbedingungen auf, die von sadistischen Mördern überwacht wurden, sondern konzentriert sich auf einzelne Personen und Beziehungen. Die HASAG war, vor allem nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, als Munitionshauptlieferant von großer Bedeutung. Es ist dem Herausgeber Frank Beer und der Übersetzerin Sigrid Beisel zu verdanken, dass Striglers Publikationen inzwischen auf Deutsch erschienen sind. Striglers Bücher sind keine nüchternen Sachverhaltsschilderungen des Alltags der jüdischen Häftlinge, sondern eine literarische Aufarbeitung des Erlebten. Schonungslos beschreibt er die Lagerorganisation und das Lagerleben, sowie den Umgang der jüdischen Gefangenen untereinander. Ostjuden und westlich sozialisierte Juden wurden von den deutschen Tätern gegeneinander ausgespielt. Strigler beschreibt mit dem scharfen Blick seines Protagonisten „Mechele“ sowohl die Opfer als auch die Täter. Wolfgang Benz schrieb in einer Rezension zu Striglers Werken: „Am verstörendsten ist die Erkenntnis, dass es die oft beschriebene heroische und solidarische Gesellschaft der Opfer als Gegensatz zu den Tätern so nicht gab.“ Strigler selbst stieg mit der Zeit in „privilegiertere“ Kreise der jüdischen Lagerverwaltung auf und konnte daher auch von dieser berichten. Ernst Reuß Mordechai Strigler (Hg. Frank Beer), Majdanek, Verloschene Lichter. Ein früher Zeitzeugenbericht vom Todeslager. Deutsche Erstausgabe März 2016, 228 Seiten, Paperback, 24,00 € Mordechai Strigler (Hg. Frank Beer), In den Fabriken des Todes, Verloschene Lichter II. Ein früher Zeitzeugenbericht vom Arbeitslager Skarzysko-Kamienna. Aus dem Jiddischen von Sigrid Beisel, Deutsche Erstausgabe Juni 2017, 400 Seiten, Paperback, 29,80 € Mordechai Strigler (Hg. Frank Beer), Werk C, Verloschene Lichter III. Ein Zeitzeugenbericht aus den Fabriken des Todes, Aus dem Jiddischen von Sigrid Beisel, Deutsche Erstausgabe Oktober 2019, 460 Seiten, Paperback, 32 € AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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