Sechseinhalb Jahre nachdem Außenminister Joschka Fischer durch eine Unabhängige Historikerkommission die Geschichte des Auswärtigen Amts untersuchen ließ, war es am 11. Januar 2012 endlich auch im Justizministerium soweit. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger beauftragte den Potsdamer Zeithistoriker Prof. Manfred Görtemaker sowie den Marburger Juristen Prof. Christoph Safferling mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit des Bundesministeriums der Justiz. Unterstützt wurden sie dabei von drei Rechtshistorikern der Universitäten Wiesbaden, Tübingen und Göttingen.
Nach vier Jahren Arbeit, wurde am 10. Oktober 2016 der Abschlussbericht im Bundesministerium der Justiz (BMJ) vorgestellt. Die Erkenntnisse der „Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ sind inzwischen im Beck Verlag unter dem Titel „Die Akte Rosenburg“ erschienen, denn „Rosenburg“ hieß das Gebäude in dem ab 1950 das BMJ für die nächsten 23 Jahre untergebracht war. Entstanden ist eine fast 600-seitige, akribische und trotzdem gut lesbare Aufarbeitung der Versäumnisse der Nachkriegsjustiz in der Bundesrepublik Deutschland. Die Kommission kommt dabei zur Ansicht, dass „die Abwiegelung berechtigter Vorwürfe, das Bestreiten eigener Versäumnisse und das fehlende Bewusstsein für Schuld und Verstrickung bei den maßlosen NS-Verbrechen (..) in der Bundesregierung und nicht zuletzt auch im Bundesjustizministerium (…) eine lange Tradition“ hatten. Ein längst überfälliger Befund. Die Autoren gehen der Frage nach warum die Gründungsväter des Bundesministeriums der Justiz Thomas Dehler und Walter Strauß so viele Nazis eingestellt haben, die sich dann gegenseitig mit „Persilscheinen“ rein wuschen. Beide kamen aus einem bürgerlich geprägten jüdischen Umfeld, waren in der NS-Zeit Repressionen unterworfen und hatten Angehörige im KZ verloren. Trotzdem schätzen sie Erfahrungen in der Nazi-Justiz offensichtlich höher ein, als eine standhafte rechtsstaatliche und antifaschistische Haltung. Auch heute noch ist das schwer nachzuvollziehen. Die Hälfte aller Beamten und Angestellten im Ministerium waren ehemalige Mitglieder der NSDAP. Bei den Leitenden Beamten des BMJ waren es gar 77 %. Die Autoren gehen vielen Lebensläufen von Richtern und Justizbeamten, die damals als unbelastet galten, nach. Sie entdecken stramme Nazis, die an Todesurteilen und anderen Verbrechen beteiligt gewesen waren und trotzdem Karriere im Bundesministerium der Justiz, am Bundesgerichtshof oder sogar am neu geschaffenen Bundesverfassungsgericht machten. Darunter für Juristen bekannte Namen wie Eduard Dreher. Es ist daher vollkommen nachzuvollziehen, dass die Kommission jetzt feststellt, dass der Bundesgerichtshof bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen und bei der Entschädigung von NS-Opfern versagt habe, der Geist der Nazizeit weiterhin bei der Kommunistenverfolgung oder der Strafbarkeit von Homosexuellen durchaus zum Vorschein kam. Das „gesunde Volksempfinden“ galt noch viele Jahrzehnte als ein anerkanntes juristisches Kriterium. Es entsprach der damals in der Bevölkerung sowie unter den Juristen, die die Entnazifizierung zum Teil als eine „Hexenjagd“ betrachteten, vorherrschenden Meinung, dass über die Vergangenheit Gras wachsen sollte. Kein Wunder, denn die meisten Deutschen waren mehr oder weniger an der Nazi-Herrschaft beteiligt. So vertrat die anfangs im Justizministerium angesiedelte „Zentrale Rechtschutzstelle“ Kriegsverbrecher, die im Ausland inhaftiert wurden und warnte die in Abwesenheit verurteilten Flüchtigen. Zuständig dafür war ein Alt-Nazi, der von der BMJ - Führung protegiert wurde. Das änderte sich erst dann ein wenig, nachdem 1957 in der DDR ein „Braunbuch“ veröffentlicht worden war, in dem die Richter „mit Blut an den Händen“ bloßgestellt wurden. Zwar wurde dies als kommunistische Propaganda abgetan und sozialdemokratische Studenten, die dazu eine Ausstellung machten, umgehend aus der SPD ausgeschlossen. Jedoch im Ausland fand das „Braunbuch“ durchaus Beachtung. Um außenpolitischen Schaden zu minimieren, wurde halbherzig auf die Enthüllungen reagiert. 149 belastete Richter gingen freiwillig in Pension, selbstverständlich bei Beibehaltung der vollen Bezüge. Außerdem wurde im Dezember 1958 die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg gegründet, in der Juristen unter Verzicht auf die „große Karriere“ jahrzehntelang gegen den Strom geschwommen sind. Feindseligkeiten von Politik, Justiz und Gesellschaft waren an der Tagesordnung und trafen diejenigen, die sich „erdreisteten“ NS-Verbrechen aufklären zu wollen. Bis 1958 gab es keinen Prozess vor einem deutschen Schwurgericht. Das ist angesichts der Tatsache, dass 13.000.000 Menschen ohne direkte Kriegshandlungen durch Deutsche umgebracht wurden - darunter als zahlenmäßig größte Opfergruppen: 6.000.000 Juden, 3.300.000 sowjetische Kriegsgefangene und 2.500.000 christlicher Polen - eine aus heutiger Sicht unfassbare Bilanz. Erstmals kam es 1958 zu einem größeren Prozess. Es war der eher durch zufällige Ermittlungen angeschobene „Ulmer Einsatzgruppenprozess“, in dem die Mörder aus den Einsatzkommandos selbstredend nur als „Werkzeuge des Führers“ angesehen und lediglich wegen „Beihilfe“ verurteilt wurden. Danach kam es – in Israel - zum Eichmann- und – in Frankfurt – zum Auschwitzprozess, was ausschließlich dem unvergessenen, aber damals heftig angefeindeten Fritz Bauer zu verdanken war, der sich im „feindlichen Ausland“ wähnte, wenn er sein Büro verließ. Ein bezeichnender Fauxpas unterlief 1968 dem Ministerium mit der ungewollten Verjährung von Naziverbrechen durch Verabschiedung des „Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz“. Wegen des Fehlens eines Satzes in der Gesetzesvorlage, waren die Taten von Gehilfen beim Morden aus Rassenhass nun plötzlich rückwirkend, spätesten 15 Jahre nach Kriegsende, also am 9. Mai 1960, verjährt. Ob das ein perfider Plan eines Einzelnen oder ein Versehen war, konnten auch die Autoren nicht abschließend klären. Im Sinne des inzwischen SPD geführten Justizministerium war es jedenfalls nicht. Laut den Verfassern des Berichts deuten jedoch viele Indizien auf den Plan eines in Juristenkreisen wohlbekannten Mannes hin, der selbst von der Verjährung profitieren hätte können, da er im Dritten Reich selbst an Todesurteilen bei Bagatelldelikte beteiligt war. Zehntausende von inzwischen eingeleiteten Strafverfahren gegen NS-Täter wurden daraufhin eingestellt. Das ungeheure Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen trat dennoch immer deutlicher zu Tage und es kam immer klarer zum Vorschein, dass nicht nur Hitler, sondern sich auch etliche Angehörige aus Politik, Justiz und Militär tief in Schuld verstrickt hatten. Das war zuvor jahrzehntelang abgestritten worden. „Als das Bundesministerium der Justiz 1973 die Rosenburg verließ (…) hatte sich die ‚Bonner Republik‘ längst etabliert, das Zusammenwirken zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht hatte sich eingespielt, NS-belastetes Personal war auch im BMJ allein aus Altersgründen weitgehend ausgeschieden. Die Schatten der Vergangenheit existierten noch immer, wie die Diskussionen um Wiedergutmachung für die Opfer von Zwangsarbeit und NS-Unrechtsjustiz bewiesen Die Unterlassungen aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik, als die ‚Schlussstrich‘-Mentalität und das Verlangen nach staatlicher Normalität zur Exkulpation vieler NS-Täter geführt hatten, trugen dazu ebenso bei wie die Tatsache, dass die ‚Aufarbeitung‘ der NS-Vergangenheit - nicht zuletzt in den verantwortlichen Ministerien und Behörden der Bundesrepublik - allzu lange auf sich warten ließ.“, resümieren die Autoren. Noch 1987 war der Korpsgeist unter den Juristen so groß, dass Ingo Müllers diese Haltung thematisierende Dissertation „Furchtbare Juristen“ zwar erhebliche Aufmerksamkeit erfuhr, die akademische Karriere des Autors danach aber laut Kommission „nachhaltig beschädigt“ war. Für einen in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit sozialisierten Juristen, der im Studium mit BGH-Urteilen „gefüttert“ wurde, die als „herrschende Meinung“ nahezu unumstößlich waren, ist es geradezu beängstigend zu lesen, wer zum Teil die Richter waren, die derartige Entscheidungen gefällt hatten. Für den kritischen Normalbürger ist es erschreckend, was immer noch alles zum Vorschein kommt. Ernst Reuß Görtemaker, Manfred / Safferling, Christoph, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016. Buch. 588 S., 29,95 €
„Am Sonntag, den 31. August 1941, trifft der erste Transport von 448 Russen ein, unter denen sich drei Tote befinden. Ein Junge von 14 Jahren ist dabei, vier von 15 Jahren, sieben von 16 Jahren. Die Mehrzahl stammt aus der Gegend von Minsk. Es hagelt Schläge auf ihre ausgemergelten Körper. Die Leute bekommen dann mittags einen Liter Essen, und abends werden sie in Trupps von etwa 20 in einem geschlossenen Auto mit den Kennzeichen SS-19-367 abgeholt und in der dafür vorbereiteten Baracke umgelegt. Damit die übrigen Delinquenten nicht merken, was passiert, wird über einen Radiolautsprecher Musik dazu gespielt. Bis nachts um zwei oder drei Uhr sind alle Russen tot, anschließend beginnt die Verbrennung der Leichen,“ so ein KZ Häftling, der in der Schreibstube des Lagers zu arbeiten hatte.
Es war der „Kommissarbefehl“ vom 6. Juni 1941, der damals die Ermordung von vermeintlichen Politkommissaren „legitimierte“. Der Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht sollte zur „Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz“ führen. Dazu wurden in den Kriegsgefangenenlagern Juden, „Intelligenzler“ sowie Politfunktionäre ausgesondert und möglichst unauffällig in einem Konzentrationslager liquidiert. In Sachsenhausen wurden mindestens 13.000 sowjetische Kriegsgefangene systematisch ermordet. Zumeist mit einem Genickschuss. SS-Männer hatten sich dazu freiwillige gemeldet und wurden mit Orden, Geldprämien und einem Urlaub in Italien belohnt. An diesem als „Russen-Aktion“ genannten Massenmord waren neun Konzentrationslager beteiligt. Insgesamt wurden mindestens 38.000 Rotarmisten ermordet. Eine als Messlatte getarnte Genickschussanlage war dazu extra konstruiert worden. Einzeln wurden die Neuankömmlinge zu einer „Untersuchung“ geführt, bei der ein als Arzt verkleideter SS-Mann Häftlinge mit Goldzähnen mit einem X auf der Brust markierte. Das Gold wurde verwertet. Danach mussten sie sich die arglosen Gefangenen an eine Messlatte an der Wand stellen, hinter dem sich ein Schlitz befand, durch den der Genickschuss abgegeben wurde. Laute Marschmusik übertönte die Schüsse. Das Blut wurde anschließend sofort mit Wasser weggespült. Bis zum 15. November 1941 dauerte die Mordaktion an den Kriegsgefangenen, dann brach Fleckfieber aus. Außerdem änderte sich die Politik gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen. Nun sollten sie durch Hunger und Zwangsarbeit ausgerottet werden. Der Krieg schien länger zu dauern als vorgesehen und man wollte zuvor noch ihre Arbeitskraft ausbeuten. Der Ort der Genickschussanlage dient in Sachsenhausen heute als Gedenkstätte für die getöteten Kriegsgefangenen. Zwei SS-Leute fotografierten zu Propagandazwecken die ausgezehrten Soldaten bei der Ankunft im KZ Sachsenhausen. Dem deutschen Volk sollten sie als Beweis für die rassische Unterlegenheit der „slawischen Untermenschen“ dienen. Man sah jedoch nur bemitleidenswerte Menschen, soweit man noch nicht vom rassistischen Virus infiziert war. Einige wenige dieser Fotos sind erhalten geblieben und zeigen die namenlos gebliebenen Kriegsgefangenen kurz vor ihrer Erschießung in Sachsenhausen. Die Sonderausstellung mit diesen Bildern „Die Exekutionen müssen unauffällig im nächstgelegenen Konzentrationslager durchgeführt werden“ ist bis 18. Juni 2017 im Neuen Museum der Gedenkstätte Sachsenhausen zu sehen. Der Eintritt ist frei. Ernst Reuß
Der britische Historiker Antony Beevor hat erneut ein umfangreiches Werk zum Zweiten Weltkrieg verfasst.
Beevor ist ein hervorragender Erzähler mit enormem Wissen. Sein Buch „Berlin 1945: Das Ende“ wurde in 24 Sprachen übersetzt und war in vielen Ländern ein Bestseller. Zuletzt erschien sein Werk „Der Zweite Weltkrieg“, das ebenfalls ein Verkaufsschlager wurde. Nun beschäftigte er sich mit der Ardennen-Offensive, laut Titel also mit „Hitlers letzter Schlacht im Westen“. Eigentlich schien das Ende des Zweiten Weltkrieges bereits ziemlich nah, als die deutsche Offensive in den Ardennen begann. Der Angriff am Morgen des 16. Dezember 1944 kam für die dort personell weit unterlegenen Amerikaner vollkommen überraschend. Es war die blutigste Schlacht an der Westfront, was auch daran lag, dass dafür von der Ostfront abgezogene deutsche Divisionen eingesetzt worden waren. Die Verlegung neuer amerikanischer Truppen in die Ardennen und mangelnder deutscher Nachschub ließen die Offensive allerdings nach relativ kurzer Zeit scheitern. Am 27. Dezember musste die Wehrmacht an allen Frontabschnitten zur Verteidigung übergehen. Bis zum 16. Januar 1945 verloren die Deutschen sämtliche Geländegewinne. Der Blutzoll war ausgesprochen hoch. In nur sechs Wochen hatten auf beiden Seiten je rund 80.000 Soldaten ihr Leben verloren, waren verwundet oder wurden vermisst. Antony Beevor war Berufsoffizier in der britischen Armee gewesen, was man an seiner Detailtreue merkt. Auch das kleinste Scharmützel und die daran teilnehmenden Truppen und Offiziere werden ausführlich beschrieben. Beevor fängt einzelne Episoden der Schlacht brillant ein. Er zeichnet das Geschehen nachvollziehbar und plastisch. Die Hinterhalte und Feuerkämpfe, die Schrecken des winterlichen Krieges, die Geschichten von psychischen Zusammenbrüchen, aber auch von Mut. Leider verliert er sich dabei mitunter im Klein-Klein und verfällt manchmal in Heldenverehrung, obwohl er auch von persönlichen Eitelkeiten, Ehrgeiz und Arroganz der Militärbefehlshaber, sowie von amerikanisch-englischen Animositäten berichtet. Besonders dem englischen Heerführer und Kriegsheld Montgomery scheint er nicht so ganz wohlgesonnen zu sein. Er erzählt aber nicht nur heldenhafte Geschichten, sondern auch von Massakern an Gefangenen, von Plünderungen, Vergewaltigungen und der Ermordung von sich bereits befreit fühlenden Dorfbewohnern aus den Ardennen. SS-Truppen wüteten grauenhaft, wie schon zuvor an der Ostfront. Sie schreckten auch nicht vor der Tötung von Zivilisten und amerikanischen Kriegsgefangenen zurück, was wiederum zu Racheexzessen an sich ergebenden deutschen Soldaten führte. Laut Beevor gab es diesbezüglich mehr Exzesse als bisher angenommen. Zum Teil von alliierten Generälen gebilligt. Einer der deutschen Täter war der Berliner SS-Kommandant Joachim Peiper, der seinen Untergegebenen befahl, keine Gefangen zu machen. Man war das wohl von der Ostfront gewohnt. Am 17. Dezember 1944 wurden in der Nähe von Malmedy mehr als 100 US-amerikanische Soldaten gefangen und nach der Entwaffnung mit Maschinenpistolen niedergemäht. Dabei wurden 82 amerikanische Soldaten getötet. Nach dem Krieg wurde er wegen des sogenannten „Malmedy-Massakers“ zum Tode verurteilt, aber nach elfeinhalb Jahren Haft begnadigt. Danach arbeitete Peiper für Porsche und VW, wurde jedoch auf Druck des Betriebsrats entlassen. Als Lektor und Übersetzer von Militärbüchern war er später für den Motorbuch Verlag tätig. 1976 wurde der inzwischen in Frankreich lebende Peiper ermordet. Täter wurden nie ermittelt, aber wahrscheinlich war es ein später Racheakt von Veteranen aus der Resistance. Ernst Reuß Antony Beevor, Die Ardennen-Offensive 1944. Hitlers letzte Schlacht im Westen, München 2016, € 26,00 |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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