„All But My Life“ gilt in den USA als ein Klassiker der Holocaust-Literatur. In ihrem 1957 erschienenen Buch beschreibt Gerda Weissmann Klein die sechs schlimmsten Jahre ihres Lebens. Eine deutsche Übersetzung erschien erstmals 1999. In Deutschland sind das Buch und seine Autorin weitgehend unbekannt. Nun erschien das Buch im Metropol Verlag aus Berlin mit dem Titel: „Nichts als das nackte Leben“
Gerda Weissmann wurde am 8. Mai 1924 im schlesischen Bielitz (heute: Bielsko) geboren, etwa hundert Kilometer von Krakau und dreißig Kilometer von Auschwitz entfernt. Nach dem 1. Weltkrieg gehörte der Ort zum wiedergegründeten Polen. Bielitz war die wichtigste Stadt der schlesischen Wollindustrie. Die Bevölkerung war mehrheitlich seit Jahrhunderten deutschsprachig, das galt auch für die meisten Juden wie Gerda, die ungefähr 20% der Bevölkerung ausmachten. Gerdas Eltern hießen Julius und Helene, der fünf Jahre ältere, von Gerda sehr geliebte Bruder hieß Arthur. Der Vater war Mitbesitzer einer Pelzfabrik. Der Familie ging es gut. Gerda war fünfzehn als ihre unbeschwerte Jugend ein jähes Ende findet. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht verschleppen die Deutschen Gerdas Bruder und drei Jahre später ihren kranken Vater, dann die Mutter. Gerda wird keinen von ihnen je wiedersehen. Für Gerda beginnt eine Odyssee durch mehrere Arbeitslager, die mit einem Todesmarsch endet, bei dem auch ihre Freundinnen sterben. Sie überlebt die Torturen des monatelangen grausamen Todesmarsches als eine von wenigen und beobachtet dabei die Bombardierung Dresdens verständlicherweise mit Genugtuung. Am 4. Mai 1945 erreichte der Todesmarsch nach fast 500 Kilometern durch Sachsen und Bayern das heute tschechische Volary. Die Häftlinge wurden in eine leere Fabrikhalle getrieben. Die SS flüchtete, versuchte zuvor aber noch das Gebäude zu sprengen. Ein Teil der jüdischen Frauen wurde noch weiter getrieben, wo deren Todesmarsch am 6. Mai nach der Flucht der Bewacher ebenfalls endete. Ihren späteren Mann Kurt Klein, einem 1937 aus Baden in die USA emigrierten Juden, der inzwischen Soldat in der US Armee war, lernt sie gleich nach ihrer Rettung kennen und lieben. Er, dessen Eltern auch in Auschwitz starben, kann sie verstehen und bringt die kranke und nur noch 31 Kilo schwere, inzwischen weißhaarig gewordene, Gerda in ein Lazarett und später nach ihrer Genesung in seine neue Heimat Amerika. 1994 entstand auf der Grundlage dieses Buchs der Dokumentarfilm „One Survivor remembers“, der 1995 den Oscar als Bester Dokumentar-Kurzfilm gewann. Es sind immer wieder diese erschütternden Zeitzeugenberichte, die zeigen was Menschen anderen Menschen im Rahmen einer absurden Ideologie antun können. Genau deswegen sind solche Bücher so außerordentlich wichtig und lesenswert. Gerda schreibt: „Warum? Warum liefen wir wie sanfte Lämmer zur Schlachtbank? Wieso wehrten wir uns nicht? Was hatten wir zu verlieren? Nichts, außer unser Leben. Wieso rannten wir nicht davon und versteckten uns? Wir hätten vielleicht eine Überlebenschance gehabt. Warum gingen wir ihnen freiwillig und gehorsam in die Fänge? Ich weiß wieso: Weil wir auf die Menschlichkeit vertrauten; weil wir nicht glauben wollten, dass menschliche Wesen solcher Verbrechen fähig wären.“ Ein Gedanke, den sie nicht nur einmal hatte. Gerda Weissmanns Erinnerungen geben trotzdem ein wenig Hoffnung. Neben dem ganzen unmenschlichem Leid, das sie erleben muss, findet sie immer wieder eine Spur von Menschlichkeit und neben einer unerfüllten einseitigen Liebe auch Freundschaften und kurz nach ihrer Befreiung den Mann fürs Leben. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit ihrer Rückkehr ins Leben. Ein fast schon hollywoodreifes „Happy End“. Sie spricht vor der UN und wird von Präsident Barack Obama geehrt. 1994 und 2019 schreibt sie selbst Epilog und Nachwort zum Buch. Unbedingt lesenswert! Gerda Weissmann starb im April 2022 mit 97 Jahren in Phoenix (Arizona), wo sie seit 1985 gelebt hatte. Ernst Reuß Gerda Weissmann Klein, Nichts als das nackte Leben. Studien und Dokumente zur Holocaust- und Lagerliteratur, Schriftenreihe der Arbeitsstelle Holocaustliteratur und der Ernst-Ludwig Chambré-Stiftung zu Lich, Band 14, Metropol Verlag, Berlin 2023, 320 Seiten, 24 €.
Die russische Investigativ-Journalistin Jelena Kostjutschenko schrieb seit ihrem 17. Lebensjahr für die regierungskritische und unabhängige Zeitung „Nowaja Gaseta“, die seit 2022 in Russland nicht mehr erscheinen darf und lebt nun in Berlin.Würde sie nach Russland zurückreisen, würde sie höchstwahrscheinlich - so wie andere kritische Journalisten - verhaftet werden.
Für ihre Arbeit und für ihre Homosexualität wurde sie in Russland beleidigt und verprügelt, später versuchte man sie offenbar sogar zu vergiften. Ihr Buch „Das Land, das ich liebe. Wie es wirklich ist, in Russland zu leben“ kombiniert Reportagen, die Jelena Kostjutschenko für die Nowaja Gazeta geschrieben hat, mit autobiographischen Geschichten. Es sind bewegende Berichte, die zeigen wie es wirklich ist im heutigen Russland unter Putin zu leben. Die 1987 geborene Jelena schreibt über die politische Repression und die Korruption in ihrem Heimatland. Sie berichtete über Menschen, die von der russischen Regierung zunehmend brutal an den Rand gedrängt werden. Es ist ein bezeichnendes Bild ihres Heimatlandes, das sich zu einem autoritären, homophoben Staat entwickelte. Kostjutschenko berichtet über obdachlose Kinder, besucht zwölf Jahre nach der Geiselnahme die Stadt Beslan, begleitet eine 24-Stunden-Schicht in einem Moskauer Polizeirevier und verschafft sich Zutritt zu einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten geschlossenen Heim für psychisch Kranke. Sie berichtet von der Annexion der Krim, dem Krieg im Donbass und aus dem belagerten ukrainischen Mykolajiw. Kostjutschenko schreibt in ihrem Buch aber auch über Kindheitserinnerungen und Gespräche mit ihrer Mutter. Putins Propaganda erschüttert das Verhältnis der beiden. Ihre Mutter glaubt fest daran was sie im russischen Fernsehen sieht. Das was ihre Tochter sagt und schreibt glaubt sie nicht, nennt sie gar Verräterin. Trotzdem haben sie weiterhin ein liebevolles Verhältnis und ihre Mutter besuchte sie in Berlin. Jelena Kostjutschenko schreibt auch über ihre Bewunderung für die ermordete Kollegin Anna Politkowskaja. Sie ist nicht die einzige ermordete Journalistin der inzwischen verbotenen Nowaja Gazeta. In einem besonders erschütternden Kapitel beschreibt sie die toten Kollegen und Kolleginnen. Die Artikel und persönlichen Geschichten habe sie deswegen ausgewählt, weil sie verstehen wollte wie Russland faschistisch werden konnte. Sie schreibt: „Meine Freundin sitzt mit dem Smartphone aufrecht im Bett. Ich kann ihren Gesichtsausdruck nicht deuten. ‚Warum schläfst du nicht?‘ ‚Kyjiw wird bombardiert.‘ ‚Was?‘ ‚Kyjiw und andere ukrainische Großstädte werden bombardiert.“ ‚Von uns?‘ ‚Ja.‘ Ich schlafe noch zwei Stunden und fahre in die Redaktion. Sie fragen mich. Bist du bereit? Natürlich bin ich bereit. In Wirklichkeit kann man nicht darauf vorbereitet sein, das wir die Faschisten sind. Ich war kein bisschen darauf vorbereitet.“ Ernst Reuß Jelena Kostjutschenko: Das Land, das ich liebe, Penguin Verlag, München 2023, Übersetzt von Maria Rajer, 416 Seiten, 26 Euro.
Vilnius, auf deutsch Wilna, ist die Hauptstadt Litauens und mit heute 570.000 Einwohnern die größte Stadt des Landes. Vilnius, wurde früher als das Jerusalem des Nordens bezeichnet und war ein Zentrum der jüdischen Kultur und Aufklärung. Während früher mal fast die Hälfte der Bewohner jüdischen Glaubens waren, leben heute nur noch wenige Juden dort.
Als unsere Vorfahren 1941 Litauen besetzten hatte Vilnius ungefähr 200.000 Einwohner. Mit dem Einmarsch der deutschen Mörder begann das Ende der jüdischen Geschichte in Vilnius. Deutsche und ihre vielen antisemitischen litauischen Helfershelfer meuchelten fast alle jüdischen Bewohner und somit nach verschiedenen Schätzungen fast die Hälfte der Bevölkerung, mindestens aber 70.000. Die deutsche Besatzung Litauens dauerte von 23. Juni 1941 bis 13. Juli 1944. Ab August 1941 begannen die Erschießungen. An den Massakern beteiligt waren Einheiten der Wehrmacht, SS, Einsatzkommandos und litauische Milizen. Die Kollaboration war hoch. Vilnius wurde Teil des Reichskommissariats Ostland. Nach der vorhergehenden Besetzung durch die Sowjetunion, wurden sie häufig als „Befreier“ angesehen. Viele Litauer solidarisierten sich mit den neuen Besatzern und töteten in ersten Pogromen zahlreiche Juden. Deutsche Militärangehörige griffen nicht ein. Danach wurde in der Altstadt von Vilnius - rechts und links von der „Deutschen Straße“ - ein Ghetto in zwei Teilen eingerichtet, wobei eines bis Oktober 1941 durch die Erschießungen im Wald von Ponary - etwa 10 km westlich der Stadt - aufgelöst worden war. Das zweite Ghetto bestand bis 1943, schrumpfte aber zunehmend nach zahlreichen sogenannten „Aktionen“. Dort pferchte man etwa 40.000 Menschen auf einem Gebiet zusammen, das ursprünglich für 4.000 vorgesehen war. Tausende Juden - Männer, Frauen, Kinder - wurden zusammengetrieben, nach Ponary gebracht und dort erschossen. So auch Yitskhok Rudashevski, der 15-jährige Verfasser eines Tagebuches das nun erstmals in deutscher Sprache erschienen ist. Die Aufzeichnungen stammen aus dem Ghetto und geben Zeugnis davon ab, was dort geschah. Yitskhok war offenbar ein aufgeweckter Junge und „Pionier“ einer illegalen kommunistischen Jugendgruppe. Er verfolgt atemlos die Offensive der Sowjets und will Widerstand leisten. Am 7. Februar 1943 schrieb er: „Wir haben gute Nachrichten. Die Leute im Ghetto feiern. Die Deutschen gestehen ein, dass Stalingrad gefallen ist. Ich laufe über die Straße ... Die Leute winken einander mit glücklichen Augen zu.“ Es sollte ihm und seinen Mitbewohnern im Ghetto nichts mehr nützen. Im September 1943 liquidierten die Nazis das Ghetto von Wilna. Yitskhok Rudashevski und seine Familie gehören zu den wenigen, die sich in den Trümmern der Häuser verstecken konnten. Anfang Oktober 1943 wurde ihr Versteck entdeckt. Er und seine Familie wurden vermutlich danach ebenfalls im Wald von Ponary erschossen. Nur seine Cousine Sore Voloshin überlebte. Sie fand das Tagebuch bei ihrer Rückkehr nach Wilna auf dem Dachboden des Hauses, in dem sich Yitskhok Rudashevskis Familie zuletzt versteckt gehalten hatte. Seine Aufzeichnungen wurden bereit 1953 publiziert aber erst jetzt auf deutsch übersetzt und mit vielen Fotos illustriert. Von den zahlreichen Juden, die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Vilnius wohnten, überlebten nur wenige den Holocaust. Von den mehr als 100 Synagogen existiert heute nur noch eine einzige. An das jüdische Ghetto erinnern in der schick restaurierten Altstadt neben vielen Restaurants nur ein paar Schautafeln. In Ponary gibt es ein Mahnmal. Franz Murer, ein österreichischer Nazi, galt als „Schlächter von Wilna“. Auch von seinen Schandtaten ist im Tagebuch des 15-jährigen Yitskhok Rudashevski zu lesen. Er hatte das Gebiet für das Ghetto ausgesucht und die Massaker von Ponary koordiniert. Im Dezember 1943 wurden unter seinem Befehl die Massengräber geöffnet und die Leichen verbrannt, um die Spuren zu vernichten. 1948 wurde er von den Briten den Sowjets übergeben, doch schon 1955 kam er nach Abschluss des Österreichischen Staatsvertrags wieder frei. Seine Heimkehr aus Sibirien wurde in seinem Heimatdorf mit einem zünftigen Fest gefeiert. Eine spätere Anklage endete mit Freispruch. Franz Murer starb 1994 friedlich und angesehen im 82. Lebensjahr. Zuletzt war er Bezirksbauernvertreter der ÖVP. Ein Sohn Murers ist bekannter FPÖ-Politiker. Ernst Reuß Yitskhok Rudashevski, „Tagebuch aus dem Ghetto von Wilna. Juni 1941 – April 1943“. Herausgegeben und übersetzt von Wolf Kaiser. Metropol Verlag, Berlin 2020, 150 Seiten, 16 Euro
Introduction
To begin with, I would like to explain why I have chosen the concept “Kriegsgefangene” [Prisoners of War]. It was in October 1999, when visiting an exhibition on the Holocaust that one particular photo very much affected me: it depicted an execution during the Second World War. The caption also indicated the place at which the execution had taken place: Winniza, Ukraine. Winniza? I had heard about this place before. My grandfather was said to have been there, during the war. This was my grandfather Ernst who died too early. My grandfather Ernst after whom I myself was named. He was a member of the NSDAP, but he was engaged in office work, far behind the front lines. Apparently, he did not notice much of the war. So my grandmother was telling me. From this point on, I developed an ardent interest in the events at Winniza and the activities and whereabouts of my grandfathers during the Second World War. I could no longer let go of this topic and began my research. Very much to my and my family’s surprise, I learnt that my grandfather had been working in the commander’s office in the prisoner of war camp at Winniza. Every single document I could get hold of was subsequently devoured by me. I found out that shocking crimes had been committed in these kinds of camps. Even more surprisingly, I noted that, although there was a considerable German secondary literature on German prisoners of war in Siberia, very little existed on the lives of Soviet prisoners of war, despite the fact that 3.3 million of them had died in German extermination camps. The biggest surprise was yet to come. In the course of my investigations, I learnt that my other grandfather, certainly no friend of the Nazis, had to spend several years in the camp at Winniza well after the withdrawal of German troops – as a German prisoner of the Russians. I wanted to know more about what had happened in Winniza. To my all-largest astonishment I experienced with my investigations that my other grandfather, who was not a Nazi friend several years - when prisoners in Russian hand - in evenly this camp in Winniza to spend had, after the Germans had taken off . I wanted to now know still more exactly, what had happened in Winniza. Several inquiries sent to prestigious historians and archivists remained without result. Usually it was worth the responding not even an answer. The concept I elaborated as well as the private photo archive that I had placed at the disposal of the German-Russian Museum in Berlin disappeared. However, I continued to try to gather further material, visiting all relevant German archives. Indeed, my research eventually did yield something. The results were limited, but numerous original files helped to clarify the picture. It was a picture of two ordinary soldiers at the Eastern Front; it was an image of unspeakable, mostly unpunished crimes. Particularly thereby the terrible fate of the Soviet affected me very much. Therefore I wrote a book to this topic. Propaganda After the initial success of the German armed forces, the German Propaganda Ministry developed an interest in the countless prisoners of war. Attempts were made to use them as a means to confirm and verify the world view the Ministry wanted to propagate. Goebbels organized therefore in August 1941 a travel of the members of the conference of ministers into a camp. Purpose of this trip should be. I quote, “to show in real life the brutes only known from the Wochenschau [official news reel] to the participants of the conference and the representatives of the Gau [administrative unity] of Berlin and to prove thereby the danger from which the Führer and the German army have saved us.” Quotation end Goebbels wanted to parade the “brutes” as they really existed. This attempt, however, failed miserably, because the participants of the staff were rather disappointed by these “brutes” which did not correspond to expectations. The reporter of the Propaganda Ministry noticed disappointed in his report I quote „The journey did not yield the desired results, because all prisoners were Byelorussians: that's why their appearance was relatively human, at least on average. […] Furthermore, they all agreed that they were hungry and willing to work. […] Nor did the other participants […] leave the camp filled by hatred. Instead, they were rather surprised just how many human-looking Russians there are.” He continued as follows: “I assume that preventive precautions are to be taken for future visits so as to correspond with the Wochenschau news.” Quotation end This conclusion seems logical enough. He was the reporter of the Propaganda Ministry after all. It was part of his job to tailor realities to the preconceived “ideas”. In his reflections, the reporter equally provided a prime example of the “humanitarianism” which was widespread among higher party circles and elsewhere: I quote: „At the end of the guided tour we were shown the prisoners that had attempted to escape. We didn’t understand why they were still alive. […] Behind barbed wire, three of them seeking shelter from the heavy rain fall under a single jacket, they were a pitiable sight. One of the prisoners […] kept saying the same thing over and over again: they would like to work. Then he asked for some bread or anything else to eat for they had been starving for quite some time. […] In my opinion, these prisoners are definitely going to kick the bucket behind these barbed wires. It is not out of a feeling of pity, but for completely rational reasons that I would take the view that the food they will be provided with during the remaining time as well as the guards necessary to watch over them should be saved on. In case they attempt to escape, they should be put to death immediately." Quotation end Cannibalism The wretched conditions of life in the camps in the Soviet Union apparently even led to frequent cases of cannibalism. There was never much debate as to why these incidents occurred. In the opinion of many, it was not malnutrition that was at the root of these practices, but, …..I quote….. the “sub humanity of trapped beasts”. A district commander even insinuated that the cannibalistic prisoners were driven by purely propagandistic interests. According to him, they ate each other to cast a damning light on the Germans (!). Feldpost – Military Postal Service To illustrate the situation behind the front lines, I would like to read a letter that I found during my research. This is unpublished material dating from 1942 which vividly illustrates the self-image underlying German misdeeds in the Soviet Union. The letter from a front worker does away with the self-serving and widespread narrative, according to which nobody in Germany knew about the activities in the East. I quote “Dear father, You’d have to see for yourself how the chosen people is doing over here. Everyone who is able to do so kicks and hits them. And if someone needs to vent his anger, he’ll pick on a Jew. They certainly won’t grow too fat over here. In the morning, someone gets them to be overseen during the day. He’ll also guide them back to their home in the evening they live together in a camp fenced in by barbed wire that is three metres high. Whoever is seen without a guard on the streets will be shot dead immediately. We’ve got Russian prisoners of war, too. They’re put to work. Every day, several of them broak or get shot. When we fetch them in the morning, the corporal insists their numbers must be the same upon their return in the evening, But if you have shot down one and I can see the corpses that doesn’t matter. One of them disappeared into the woods, but we managed to send him to the happy hunting grounds. In our rooms, we’ve got Jewish girls to do the washing-up and the laundry, they darn the socks and they clean the shoes. We chose them in the labour exchange. My room is kept clean and tidy by a capable Jewish lady. Recently, more than 40.000 Jews have been shot dead. We didn’t need these chaps anymore. The others, of course, fear for their lives, knowing it will be their turn soon. What I have written to you must not be passed on; this would be illegal. The Easter celebrations approach and I wish you a happy Easter. Kindest regards, Your son and brother Oscar.” Quotation end The casual tone of the following letter written by the same author only a couple of months later, relating terrible crimes, underlines the shocking normalcy of the inhumane activities of those years: I quote Everything would be alright if only the grub were slightly better: nothing but potatos and potatos again. You produce piles of shit the size of a bread basket, yet you’re still ravenously hungry. There have been no such things as cabbage or vegetables. We’ve got to wait until the cabbage we’ve sown is ready. It won’t be before Christmas. Occasionally, I buy some radishes. There’s butter, too. Recently, we had some beer, which made for a good snack. We dug a trench to lay some water supply pipes, in the process of which we found a Jewish mass grave, which was probably about one and half years old. Jews had to transfer the corpses to another grave. As soon as they were finished, they, too, lost their lives in the same grave. Please remain silent on this issue for, of our entire commando, I was the person on guard. Quotation end This letters were written from a simple front worker in Belorussia. Ernst’s Development Now I will come to Winniza in the Ukraine and to Ernst’s Development. There were three camps in Winniza, where my grandfather was stationed as a sergeant. There was a ghetto for the Jewish civilian population that existed from July to September 1941. About 7.000 people lived there, 2.000 of whom were executed. This ghetto was under civil administration. The second camp was put in place as a forced labour camp for Jewish men. The Jewish detainees of the camp were brought in for track laying work. This camp existed from December 1941 to April 1944 and was administered directly by the SS. The moment the workers were no longer needed, they are said to have been shot dead. The third camp, a prisoner of war camp in the narrow sense of the term – Stalag 329 – existed from October 1941 to September 1943. It was run by the Wehrmacht. According to statistics, there were no more than 20.000 Soviet prisoners at any one time. Ernst worked in the office, which was 15km away from the actual camp. Stalag 329 was far from the worst camp in the East. Yet even there, segregations, “special treatments”, and outright murder were a reality. Ernst had to know at least something about the crimes committed in Stalag 329, even though he was not directly involved in them. Outside these three camps, there were mass executions in September 1941 and in the spring of 1942. It is estimated that, in each of these, between 15.000 and 30.000 citizens of the town of Winniza have been killed. In 1942, Ernst came home for Christmas. On his return journey to Winniza, he fell ill because of the freezing cold in the trains. Even though his heart condition that had become chronic, he witnessed the end of Stalag 329. In November 1943, the camp had been relocated first to East Prussia, then to the Luneburg Heath in Central Germany. No one knows what happened to the remaining detainees after the withdrawal from Winniza. If one takes the behaviour of the German troops as anything to go by, one can only fear the worst. Later, Ernst worked in Croatia. He was seriously ill, spending most of his time in hospitals, where he was taken prisoner by the English in Lienz. One year later, he was set free. However, due to his increasingly severe heart condition, his newly found freedom could not be put to much use during the following years. He died in 1950 aged 42, succumbing to the illness contracted during the war. No German soldier was ever held responsible for either the “special treatment” or the deaths occurring in Stalag 329. Lorenz’s Development My other grandfather Lorenz was conscripted as late as January 1942. Only a couple of weeks later, he was sent to the Eastern Front near the river Kuban. He was an ordinary Lance-Corporal. These soldiers who received but the briefest of military trainings for their deployment at the Eastern Front were called Kanonenfutter, cannon fodder. Since they had no combat experience whatsoever, their life expectancy was not particularly high. Consequently, very few soldiers from my grandfaters regiment survived. In early July 1943, Lorenz sustained serious injuries from shell attacks at Noworossisk. For him it was great fortune, a blessing in disguise. After his restoration, he was again called upon to defend the capital of the Reich: Berlin. On 2 February 1945, he wrote his last letter from Bavaria: I quote “It is for the third time that I have to do a difficult thing. If I succeed in sustaining minor injuries, I will soon be back home with you, which is my all and my innermost desire. For us, the situation is beyond hope, as I had indicated before. The Volkssturm [Home Guard] won’t keep the Russian outside the gates of Berlin. I am not scared of the Russians and am able to put myself to good use anywhere. But all these criminals must be wiped out. I don’t know yet where we are going to be deployed, […] Hopefully I’ll lucky, but I am not scared at all. My dear wife, please don’t cause me any concern for destiny will faithfully stand by our side. There’s only one thing I’d like to tell you. Eat your meat now, rather than giving it to the occupying forces. Following the latest news, our mood has sunk to new lows. There have been no promotions either. They certainly won’t have a surprise one for me. My convictions and my eagerness to this swindle are not suitable for promotions. […] Thinking about these nasty times is enough to drive one up the wall. Twelve years of hatred and misery – how much longer will it last? Let us hope for the best, dear wife, so as to be able to complete our modest married life after the war. And that God may take our cheerful child under the umbrella of his protection.” Quotation end Any of these letters could have been Lorenz’s last, not only because of his potentially fatal deployment at the front, but even more so because some of the statements he made were punishable by death for defeatism and Wehrkraftzersetzung, what means undermining military strength. Particularly towards the end of the War, German law courts, the juridical instruments of Hitler, punished these offences mercilessly. As he had been before during the front-line action in the Kuban area, Lorenz was incredibly lucky. He survived and on 16 April 1945, shortly after the last offensive had begun, he was taken prisoner near Berlin. On 10 May 1945, Lorenz arrived as a prisoner of war at the camp in Winniza, Ukraine. He was to remain there until the end of July 1947. The Red Army thus used the same camp in which the future father-in-law of Lorenz’s daughter had worked. But Ernst and Lorenz were never to meet. On 1 August 1947 Lorenz was transferred to a camp in Kiev. It was not before May 1949 that his captivity ended. According to his own statements, he worked as hairdresser and was not treated badly there. However, Lorenz suffered throughout his life from the injuries sustained during the war. The growth in one of his legs was stunted, from which serious hip trouble resulted. The shrapnel working its way through his body caused constant pain. The continuation of the “modest married life,” mentioned in his letter as his innermost desire, did not prove to be long-lasting. Three and half years after his release from capitivity, his wife Anna died. He himself died in 1981. Conclusion Of the 3.1 million German prisoners of war, only about two million are said to have returned to their native country. Accordingly, more than a third of them died in the camps. However, one ought to insist on the fundamental difference between the German treatment of Soviet prisoners of war and the Soviet treatment of German prisoners of war. Compared to the systematic extermination of Soviet prisoners, the high mortality rates among German prisoners, concentrated particularly immediately after the Battle of Stalingrad, could be explained mostly with the general state of exhaustion among German soldiers and the ensuing bad health. Another reason can be found in the awful food and health provision in the Soviet Union, which at that point was on the verge of collapse. On these grounds alone, a simple comparison of the death toll on both sides would be more than questionable. While Germans prisoners in the Soviet Union have largely been treated within the confines of the Geneva Convention, the German occupying forces were not interested in the slightest in the humane treatment of Soviet prisoners. To be sure, the German Reich had ratified the Geneva Convention in 1934. Yet its regulations were not to apply to Soviet prisoners of war. The German government was of the opinion that the convention was based on the principle of mutuality and the Soviet government had not signed it. Even that would not have been so problematic, because Russia had previously signed The Hague Convention of 1907. But the German government refused to comply with the minimum standards fixed in this document when it came to dealing with Soviet prisoners. Indeed, conventions for “Slav subhumans” were a sentimental humanitarianism the racially fuelled ideology of the Nazis didn´t need. In Hitler’s Germany, they thought that the Soviets had renounced all treaties signed by Tsarist Russia, including The Hague Convention. At last, a pretext was found for abandoning any prior contractual obligations toward Bolshevik Russia. The population of the Soviet Union had to be decimated, the “Jewry” and Bolshevism had to be exterminated. One short comment After the war, prisoners taken by the Western allies did not obtain the legal status of “prisoner of war”, but that of “internee”. They were thus not subject to the regulations laid down by the Geneva and The Hague Conventions. The argument ran as follows: since many a state, and particularly Hitler’s Germany, had ceased to exist, there would no longer be soldiers bound to a state. The US troops termed them “Disarmed Enemy Forces”. The British army settled for “Surrendered Enemy Personnel.” Both terms bear a striking resemblance to the “enemy combatants” associated with Guantanamo Bay. None of these terms has any validity in international law. It appears to be, that only when dealing with their own soldiers that states insist on the Geneva Convention. 174. Letter of Friday But let us return once more to the Soviet prisoners of war. Since Stalin’s order No. 270 of 16 August 1940 equated captivity with treason, many Soviet prisoners justifiably feared for their lifes when having to return to his native country. Little did it matter that the actual number of collaborators among Soviet soldiers was relatively low. Of the prisoners of war repatriated by force only one fifth were actually given permission to return home. The remainder was convicted or deported to the most remote and destitute areas as forced labourers. It was in 1957, after the Twentieth Party Congress, that the former prisoners of war were granted an amnesty. They continued, however, to feel like outcasts among the Soviet population. At the end, therefore, I would like to cite a relatively recent letter written by a former Soviet prisoner of war. “I was born in 1921. I was conscripted in November 1940. I served as an ordinary soldier in the 12th Rifleman’s Brigade. The war began on 22 June 1941. I was sent to the front lines. In July 1941, I sustained serious injuries in the Ukraine. I lay there all alone and I lost a lot of blood. At last, I was picked up and, together with several other wounded, taken to the city by train, where I was treated for nine months. After my convalescence I was again sent to the front lines. I got to Kerch on the Crimean peninsula where we were encircled. I was taken prisoner by the Germans who transported me to Germany. I ended up in a prisoner of war camp. It was in this camp that the true horrors began. The people there were thin and emaciated their faces white. On top of everything else, we were forced to work. Many people died every day. I survived thanks to a miracle. The food was low in nutritional value and extremely plain: they chopped beets and added some water. That was it. They called it soup. We were also given 200 g of lousy bread. That was all the food we got every day. […] It’s hard to remember all these things. I’ve forgotten a lot of it. I stayed in Germany until 1945, when I was set free by the American forces. Together with other prisoners, I was taken to Budapest in train carriages. We, weak, sick and unable to work, were sent to Siberia. […] I was to remain a forced laborer there for two years and I was not allowed to return home. […] We were considered to be traitors to our fatherland for the only reason that we had been prisoners of war. We crushed pieces of clay and piled them up, so they could be picked up by a wagon. […] I still wonder how I survived at the time, that I am still alive. I am gravely ill now. My legs, my hands and my stomach ache. Everything aches. Even my soul aches. My pension is too modest to cover my bills. I am living with my wife Sofia. We’ve got two children as well as two grand-children. I don’t know what else to write. When I throw myself into memories, I get a headache. Often, I get very nervous. It’s hard to even visualize of the fact that I survived all this. I am hard of hearing. In my right hand, I’ve still got a piece of shrapnel. I cannot find any documents or evidence for all this. With this I close my letter.” And I want to close my short lecture. Ernst Reuß
Es liest sich wie ein Krimi. Es ist ist aber kein Krimi, sondern ein Sachbuch zu einem „Jahrhundertcoup“. Es gibt einige „Jahrhundertcoups“ in der Medienlandschaft. Das neue Buch von den zwei Spiegel TV Reportern Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer heißt jedenfalls auch so. Bei diesem „Jahrhundertcoup“ handelt es sich um den dreisten und spektakulären Kunstraub im Grünen Gewölbe in Dresden. Heise und Meyer-Heuer haben darin den Hergang des Einbruchs minutiös nachgezeichnet und die intensive Ermittlungsarbeit der Soko „Epaulette“ detailliert beschrieben. Dabei charakterisiert wird auch ein „Clan“ mit dem sich die beiden schon öfters beschäftigt haben. Sei es im TV, als auch in ihren Büchern. „True Crime“ geht immer. 2020 war bereits „Die Macht der Clans“ erschienen. Ein Thema, dass sich auch immer in Fernsehdokumentationen von Spiegel TV ausschlachten lässt.
Es war der 25. November 2019 als sich der Einbruch zutrug. Es geschah am frühen Montagmorgen in einem der angeblich bestabgesicherten Gebäude Deutschlands: dem Dresdener Residenzschloss. Kunstschätze von unschätzbarem Wert wurden von mindestens sechs Männern aus den Vitrinen des Grünen Gewölbes entwendet, die man zuvor mit Beilen einschlug. Alles ging ziemlich schnell. Ein wohlbekanntes Vorgehen bei ähnlichen Beutezügen. Das Fenster, durch das die Täter eingedrungen sind, war nicht alarmgesichert, was seit Jahren bekannt gewesen war. Ein Insidertipp? Bis heute hat man keinen Tippgeber finden können, obwohl einige wohl zu unrecht in das Fadenkreuz der Ermittler und in Untersuchungshaft kamen. Die Überwachungskameras waren uralt und lieferten nur schlechtes Bildmaterial. Die Spuren des Einbruchs führen letztendlich dennoch zum sogenannten Remmo bzw. Rammo Clan in Berlin. DNA, die man aus Hautschuppen oder Haaren gewinnen kann, legte eine Spur zu den Tätern. Umfassende Abhörmaßnahmen im Umfeld besorgten den Rest. Verurteilt wurden letztendlich fünf Mitglieder der Bande, mit der sich die Autoren schon seit Jahren beschäftigen. Mindestens ein Täter konnte nicht dingfest gemacht werden. Aufgrund eines Deals mit der Staatsanwaltschaft wurde sogar ein Teil der Beute wieder sichergestellt. Spannend zu lesen, vor allem wenn man sich für die sehr intensive Polizeiarbeit interessiert, die hinter der Festnahme von fünf Einbrechern steckt. Eigentlich empfehlenswert, wenn nicht das enervierende Justiz- und Berlinbashing wäre. Auch die Darstellung des „Clans“ wäre wohl in einem ganz andern Tonfall verfasst worden, wenn es sich um „Gentlemen Gangster“ aus einem anderen Milieu beziehungsweise aus einem anderen Kulturkreisen gehandelt hätte. Erinnert sei an die Postzugräuber. In diesem Buch werden Bandenmitglieder als tumbe, einfach strukturierte junge Männer dargestellt. Es gibt andere Beispiele bei denen die Hochachtung vor dreisten Kriminellen bei Filmemachern und True Crime Schreibern kaum zu verbergen war. Dem ist hier nicht so. Das alles mag populär sein und gewisse Bevölkerungsschichten ansprechen, doch diesbezüglich machen es sich die Autoren zu einfach. Genauso wie diejenigen, die besonders dreiste Kriminelle feiern. Ernst Reuß Thomas Heise und Claas Meyer-Heuer, Der Jahrhundertcoup, Ein Clan auf Beutezug und die Jagd nach den Juwelen aus dem Grünen Gewölbe, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2023, 352 Seiten, 24 €.
Als am 6. April 2006 der 21-jährige Halit Yozgat in einem Internetcafé in Kassel aus nächster Nähe erschossen wurde saß der Verfassungsschutzmann Andreas Temme nur wenige Meter entfernt im selben Raum und meldete sich als einziger Kunde nicht als Zeuge. Es war einer der vielen Morde des lange Zeit unerkannten NSU. Temme galt als tatverdächtig, behauptet aber bis heute, nichts von dem Mord mitbekommen zu haben. Er, der in seinem Heimatdorf als Jugendlicher unter dem Spitznamen „Klein Adolf“ bekannt war, habe den verblutenden Halit beim Verlassen des Cafés nicht bemerkt.
Fälle wie die des V-Mann Temme seien niemandem so unangenehm wie den Verfassungsschützern selbst, meint Ronen Steinke und erzählt gleichzeitig von der rechtslastigen Geschichte dieser Behörde. Die Alliierten erlaubten 1949 eine Dienststelle neben der Polizei, die ohne Pistolen und Handschellen Informationen über Feinde der Demokratie sammeln sollte: den Verfassungsschutz. Nur wer ist der Feind und wie findet die Überwachung statt? Das war und ist nicht immer klar. Viele ehemalige Nazis arbeiteten dort. Dass die eher gegen Kommunisten vorgingen, als gegen Rechtsradikale, war kaum zu vermeiden. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hieß in jüngster Zeit lange Jahre Hans-Georg Maaßen. Er ist derjenige der die heutige Migrationspolitik als „Ausdruck einer grün-roten Rassenlehre, nach der Weiße als minderwertige Rasse angesehen werden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse“ bezeichnet und für den Reisen nach Ungarn erholsam sind, weil er dort „als weißer deutscher Mann nicht diskriminiert und diffamiert werde.“ Steinkes Kritik am Verfassungsschutz ist die Tatsache, dass dort Politik gemacht wird und juristisch nicht dagegen vorgegangen werden kann. Agenten dürfen Telefonate abhören, sich in Handys einhacken und mit V-Männern in das Privatleben eindringen, ohne dass zuvor strafbare Handlungen begangen worden waren. Während die Polizei Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte von Verdächtigen vor einem Richter rechtfertigen muss, kann der Verfassungsschutz ganz ohne Gerichtsentscheid spionieren. Die Behörde darf im Gegensatz zur Polizei Personen und Gruppierungen beobachten, die sich völlig legal verhalten. Das schade der Demokratie, kritisiert Steinke. Die Kontrolle der Verfassungsschützer erfolgt lediglich durch ein kleines Gremium, das sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit trifft. In den verschiedenen Bundesländern werden je nach Regierung unterschiedliche Objekte ausspioniert. Auch im Bund gibt es Einfluss durch die jeweilige Bundesregierung. Als der Verfassungsschutz 2021 eine mehr als 800 Seiten starke Einschätzung der AfD im Innenministerium zur Freigabe vorlegte, war der damalige Innenminister Horst Seehofer mit seinen Fachleuten nicht zufrieden. Slogans wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ wurden darin als extremistisch erwähnt, was Seehofer, der denselben Satz auch schon sagte, nicht so gut fand. Das Papier wurde daraufhin mehr als einen Monat lang umgeschrieben. Geändert wurden dann Passagen zu Positionen, die auch Politiker der Union schon zum Besten gegeben hatten. Der Verfassungsschutz ist die Behörde, die den „Radikalenerlass“ in den 70er Jahren umgesetzt hat, der tausende Menschen um den Job brachte. Die Verfassungsschutz ist die Behörde, die so viele Informanten in der Führung der rechtsextremen NPD abschöpften, dass am Ende nicht mehr klar war, ob die Partei von der staatlichen Behörde mitgelenkt wurde. Insgesamt sechs Jahre lang recherchierte Ronen Steinke für sein Buch und fragt sich nun: Weshalb gibt es das nicht in anderen Ländern? Gibt es überhaupt gute Gründe für die Arbeit des Verfassungsschutzes? Ernst Reuß Ronen Steinke: Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht. Berlin Verlag 2023. 224 S., 24 Euro.
Im Jüdischen Museum Berlin wird bis 14. Januar 2024 die Ausstellung „Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR“ gezeigt. Es ist die erste große Ausstellung über jüdische Erfahrungen in der DDR.
Die allermeisten überlebenden deutschen Jüdinnen und Juden zogen nach der Schoah ein Leben außerhalb Deutschlands vor. Nur wenige entschieden sich für die DDR. Es waren meist Kommunisten, die dort ein besseres Deutschland aufbauen wollten. Für die DDR war nicht ihr Judentum entscheidend, sondern ihre politische Loyalität. „Opfer des Faschismus“ bekamen weniger Rente als „Kämpfer gegen den Faschismus“. Wiedergutmachungen wurden Juden nicht gezahlt. Es war nicht gewünscht Juden als eigene Opfergruppe anzusehen, vielmehr wurden die Opfer in den KZ‘s und Vernichtungslagern als „Häftlinge aus allen europäischen Ländern“ bezeichnet und als Teil des Widerstands betrachtet. Zwar förderte die DDR 1953 die Wiedereröffnung der Berliner Synagoge in der Rykestraße, aber die Sanierung des historisch bedeutenderen Baus in der Oranienburgerstraße begann erst in den Achtzigerjahren. Mit der jüdischen Religion hatten viele Remigranten nicht sehr viel zu tun. Antisemitismus sollte eigentlich in dieser Gesellschaft keinen Platz mehr haben. Doch im real existierenden Stalinismus kam es anders. Zwar hatten viele jüdische Intellektuelle Anteil an Kultur und Politik der DDR, aber jeder war verdächtig. Kontakte in den Westen oder nach Israel machten sehr verdächtig. Für polyglotte, dem Internationalismus zugewandte Remigranten ein Problem. Für die DDR war Israel imperialistisch, mit dem anständige Juden nichts gemein haben sollten. Hunderte Jüdinnen und Juden mussten 1952 zur Zeit der Slansky-Schauprozesse aus der DDR wieder fliehen. Stalinistische Säuberungen betrafen insbesondere Juden als Teil einer „zionistischen Verschwörung“. Rudolf Slansky, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und 13 weitere hochrangige jüdische Funktionäre des Landes wurden angeklagt. Der Prozess war unverhohlen antisemitisch und führte zur Todesstrafe für die meisten der jüdischen Angeklagten. Zur selben Zeit führte Stalin in der Sowetunion eine Kampagne gegen ein angebliches Komplott von Medizinern vor allem jüdischer Herkunft, die sogenannte Ärzteverschwörung. Julius Meyer, ein frühes Mitglied der Kommunistischen Partei und Auschwitz-Überlebender, flüchtete im Januar 1953 mit vielen anderen ostdeutschen Juden in den Westen. Man schätzt, dass bis zu einem Drittel der Juden in der DDR in dieser Zeit flohen. Eine SED Funktion nützte da nichts. Als Jude wurde man verdächtigt ein imperialistischer West-Agent zu sein oder galt als Zionist. US-Spion wurde man, wenn man von jüdischen Hilfsorganisationen aus den USA Hilfspakete annahm. Vielen Nachkommen der Remigranten, wurde ihre jüdische Herkunft erst so nach und nach bewusst. Die Ausstellung und der Katalog zur Ausstellung zeigen ihre Suche nach der eigenen Identität und eröffnet Einblicke in das Leben von Jüdinnen und Juden in der DDR. Dabei werden Biografien mit ausgesprochen interessanten Ausstellungsstücke aus bildender Kunst, Film und Literatur verknüpft. Nachkommen von jüdischen Remigranten wie André Herzberg oder Marion Brasch steuern ihre Exponate zur Ausstellung bei. Der Katalog enthält spannende Artikel, wie zum Beispiel den sehr lesenswerten Text von Barbara Honigmann. Ernst Reuß Ein anderes Land. Jüdisch in der DDR. Jüdisches Museum Berlin, bis zum 14. Januar 2024. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 3 Euro. Der Katalog (272 Seiten) kostet 28 Euro. |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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