30 Kilometer flussaufwärts von Torgau an der Elbe trafen sich am 25. April 1945 Rotarmisten und amerikanische GIs. Die Front gegen Hitler war damit geschlossen und sein Schicksal endgültig besiegelt. Ein paar Tage später brachte er sich um.
Ein amerikanischer Aufklärungstrupp hatte in einem Boot die Elbe überquert, da die Pontonbrücke kurz zuvor durch die deutsche Wehrmacht gesprengt worden war. Viele deutsche Zivilisten waren dabei und durch sowjetisches Artilleriefeuer ums Leben gekommen. Angesichts des Grauens, welches sich den Soldaten dort bot, sollen sie gemeinsam den „Schwur an der Elbe“ geleistet haben. Fortan wollten sie alles tun, um einen neuen Krieg zu verhindern. Einer der damals am Treffen teilnehmenden US-Soldaten, Joe Polowsky, setzte sich Zeit seines Lebens für die Anerkennung des 25. April als „Weltfriedenstag“ ein. Seine Bemühungen bei der UN unterstützen jedoch nur Costa Rica, der Libanon und die Philippinen. Mit einer Delegation fuhr er auf dem ersten Höhepunkt des Kalten Krieges im Jahr 1955 zum zehnjährigen Jahrestag des Treffens nach Moskau, was damals in der McCarthy-Ära sehr mutig war. Trotz Anfeindungen gab er sein Ziel nicht auf und eckte in den USA wegen „unamerikanischer Umtriebe“ immer wieder an. 1983 wurde er gemäß seines Letzten Willens auf dem evangelischen Friedhof in Torgau begraben. Auch das in einer Hochzeit des Kalten Krieges mit Nato-Doppelbeschluss und großen Friedensdemonstrationen. Mit dem 1986 entstandenen Dokumentarfilm „Joe Polowsky. Ein amerikanischer Träumer“ würdigte der Regisseur Wolf Otto Pfeiffer diesen Mann. Er erhielt für seinen Film unter anderem den Berlinale Friedenspreis. Immer am 25. April wollte Polowsky genau daran erinnern, was er als einfacher Soldat erlebte. Pfeiffer möchte nun dessen Vermächtnis fortsetzen und den Film an jedem 25. April zeigen. Er will dafür seinen Film kostenlos zur Verfügung stellen. Kinos und sonstige Veranstalter, die das tun möchten, wenden sich per E-Mail an Wolf Otto Pfeiffer: [email protected]. Ernst Reuß
Mordechai Strigler, der 1998 als 80-Jähriger in New York starb, war ein Schriftsteller, Journalist und Überlebender des Holocaust. Der beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Warschau ansässige Strigler, wurde nach Einmarsch der Deutschen zur Zwangsarbeit in unterschiedliche Arbeitslager geschickt. Er überlebte 12 davon. Eltern und drei von sieben Schwestern wurden Opfer der Nazis.
Kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald am 11. April 1945 begann er, seine Erfahrungen im Vernichtungslager Majdanek in literarischer Form zu verarbeiten. Das Buch wurde bereits 1947 auf Jiddisch veröffentlicht. Es ist dem Herausgeber Frank Beer zu verdanken, dass diese Publikation nun erstmals auf Deutsch erschienen ist. Beer, der bereits andere nie auf Deutsch erschienene Augenzeugenberichte, aus den Vernichtungslagern für deutsche Leser zugänglich gemacht hat, widmet sich dankenswerterweise diesen antiquarischen Schätzen, um sie dem Vergessen zu entreißen. Striglers Buch ist keine nüchterne Sachverhaltsschilderung des Alltags der jüdischen Häftlinge, sondern eine ausdrucksvolle Aufarbeitung des Erlebten. Er beschreibt mit bitterem Blick sowohl die Opfer als auch die Täter. Ganz besonders in den Vernichtungslagern galt: „Homo homini lupus“ – Der Mensch ist des Menschen ein Wolf. Nichts für zart besaitete Gemüter. Ernst Reuß Mordechai Strigler (Hg. Frank Beer), Majdanek, Verloschene Lichter. Ein früher Zeitzeugenbericht vom Todeslager. Deutsche Erstausgabe März 2016, 228 Seiten, Paperback, 24,00 €
„,Schwarzes Eis‘ ist eine Erinnerung an das große Experiment, das 1917 begann und siebzig Jahre später im völligen Zusammenbruch endete. Es ist eine Geschichte aus einem Jahrhundert voller Aufbruch und Hoffnung, aber auch voller Willkür, Grausamkeit und Blut. Es ist die Geschichte meiner Familie“, schreibt der ehemalige Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen Sergej Lochthofen in seinem Vorwort. Der 1953 in Vorkuta geborene Journalist ist der Sohn des 1989 gestorbenen Lorenz Lochthofen, der von 1963 bis 1967 Mitglied des Zentralkomitees der SED war.
Lorenz Lochthofen floh Anfang der dreißiger Jahre aus dem Ruhrgebiet in die Sowjetunion und absolvierte dort ein Studium des Journalismus und der politischen Ökonomie. 1937 wurde er Opfer der stalinistischen Säuberungen. Ebenso erging es seiner ersten Frau. Ihre gemeinsame Tochter starb. Lochthofen wurde zu fünf Jahren Zwangsarbeit im Arbeitslager Vorkuta verurteilt, der Grund war ihm unklar. Neun Jahre Zwangsarbeit wurden es schließlich, bis er 1946 „frei“ kam, aber weiterhin als Verbannter in Vorkuta wohnen bleiben musste. Dort lernte er seine spätere Ehefrau kennen, gründete eine neue Familie, machte seinen Abschluss als Ingenieur und wurde in der Sowjetunion zum anerkannten Werktätigen. Bereits 1947 schrieb er an Wilhelm Pieck „Ich verfolge mit lebhaftem Interesse euren Kampf um die Organisation eines neuen demokratischen Deutschland. Ich möchte und will mit dabei sein und in euren Reihen kämpfen.“ Er bekam nie eine Antwort. Der Brief blieb in seiner Kaderakte jedoch bis heute erhalten. Erst 1956 wurde Lochthofen vollständig rehabilitiert und konnte mit seiner Familie 1958 in die DDR ausreisen. Dort begann er eine erstaunliche Karriere, die ihn schließlich sogar ins ZK der SED führte. Letztlich scheiterte er aber an der schwerfälligen Bürokratie und der Engstirnigkeit von Politbürokraten und zog sich 1967 nach einem Herzinfarkt ins Privatleben zurück. Der Titel Schwarzes Eis beschreibt das vom Kohlestaub gefärbte Eis in Vorkuta. Der Weg dorthin und seine Erlebnisse umfassen mehr als zwei Drittel des Buches. Es ist die in Romanform geschriebene Geschichte, die der Vater seinem Sohn erzählte, vermischt mit eigenen Kindheitserinnerungen. Während die DDR noch existierte, schrieb der Autor die Erzählungen auf und versteckte sie vor der Stasi. Lorenz Lochthofen blieb Zeit seines Lebens ein Verdächtiger. Zuerst in der Sowjetunion als Deutscher misstrauisch betrachtet, dann in der DDR als ehemaliger Vorkuta-Häftling beargwöhnt und selbst noch kurz vor seinem Tod 1989 von der Stasi bespitzelt. Als ein Film über ihn gedreht werden sollte, wurden aus den Jahren im Gulag schlichtweg Jahre im KZ Buchenwald gemacht. Das passte besser ins politische Weltbild der Nachkriegs-DDR. Einiges aus seinem Leben bleibt trotzdem rätselhaft, wie zum Beispiel die Zeitspanne vom Ende der Karriere bis zu seinem Tod 1989. Es wäre interessant gewesen, die Gedanken eines Lorenz Lochthofen auch aus jener Zeit zu erfahren. Gespickt mit Anekdoten wird der Roman immer mehr zu einer Hommage an den Vater. Mitunter droht er in ein Heldenepos abzugleiten über den die schwerfällige Bürokratie überwindenden Vater, der gegen alle Widerstände in das ZK der SED aufsteigt. Dabei werden einige Details sicherlich der beschriebenen Fabulierkunst des Vaters geschuldet sein. Folgerichtig bezeichnet der Verlag das Buch als einen tatsachengestützten Roman. Insgesamt ist es ein sehr leicht zu lesendes interessant geschriebenes Stück Zeitgeschichte, in dem nicht nur die Brutalität der stalinistischen Sowjetunion beschrieben, sondern auch Eigentümlichkeiten im Alltag der DDR plastisch und nachvollziehbar geschildert werden. Ernst Reuß Sergej Lochthofen, Schwarzes Eis, Der Lebensroman meines Vaters, Berlin 2012, Rowohlt, Hardcover, 448 S., 19,95 €, ISBN: 978-3-498-03940-0. Für Geschichtsvergessene. Ein Beispiel für viele: die Flucht der Salzburger Protestanten nach Preußen.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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