Heute wird oft mit wenigen Kenntnissen über Ausländer und Zuwanderung heftig diskutiert, ohne dass man sich über die spannende und zugleich zwiespältige Geschichte der deutschen Ausländerpolitik informiert.
Nach der Reichsgründung 1871 führten Agrarkrise und Bevölkerungsdruck zu großen überseeischen Auswanderungswellen, aber auch die ostelbische Landbevölkerung wanderte in die prosperierenden neu entstehenden Industriegebiete im Westen ab. Wegen des Arbeitskräftemangels im Osten wurden - nach der Teilung Polens - auch aus den von Russland und Österreich okkupierten Teilen Polens Arbeitskräfte nach Deutschland geholt. Erste Konflikte entstanden, wobei die Argumente bis heute weitgehend gleich geblieben sind. Man warnte vor der Polonisierung des Ostens und schlug stattdessen den Einsatz von „volkspolitisch ungefährlichen“ chinesische Kulis vor. Polen wurden allgemein als „rückständig, kulturell niedrig stehend und als rassisch weniger wertvoll“ angesehen. Das Schlagwort „Deutschland den Deutschen“ entstand. Die Polen aus dem preußisch annektierten Teil Polens, die die preußisch-deutsche Staatsbürgerschaft besaßen konnten ohne Restriktionen in den Westen ziehen. Bis zum 1. Weltkrieg waren es an die 2 Millionen Menschen, die zuerst unter sich blieben, weiterhin Kontakt zu ihrer Heimat hielten und daher wenig integriert waren. Die katholischen Polen wurden als Konkurrenten und Lohndrücker angesehen, als „Pollacken“ diskriminiert und man hörte Slogans, die auch heute verwendet werden. Trotzdem kam es im Laufe von Jahrzehnten zu einer vollständigen Integration. Nach Beginn der 1. Weltkrieges wurde der Rückkehrzwang für ausländische Saisonarbeiter in ein Rückkehrverbot umgewandelt. Bei der Anwerbung neuer Arbeiter kam es auch zu zwangsweisen Deportationen. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme und der schnell ansteigenden Rüstungskonjunktur warb man erneut um polnische Landarbeiter. Nach Kriegsbeginn wurden zuerst polnische Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene herangezogen, um die Heimatfront ruhig zu halten. Kontakte zu Deutschen waren verboten, sexuelle Kontakte wurden mit der Todesstrafe belegt und polnische Arbeiter mussten ein „P“ als sichtbares Zeichen tragen, was die deutsche Öffentlichkeit ohne jegliche Empörung hinnahm. Später, nach Scheitern des „Blitzkriegs“ in der Sowjetunion, kamen verstärkt russische Kriegsgefangene und manchmal auch Juden zum Einsatz, wovon viele an den unhygienischen Lebensbedingungen und der unzureichenden Ernährung starben. Zu Beginn des letzten Kriegsjahres waren mehr als 7 Millionen, also ein Viertel aller Beschäftigten in der deutschen Wirtschaft Ausländer. Nach dem Zweiten Weltkrieg füllten Flüchtlinge und Vertriebene die entstandenen Arbeitskraftlücken und erst im Zeichen des Wirtschaftswunders 1956 gab es die ersten italienischen „Gastarbeiter“. Später kamen Spanier, Griechen, Türken und Jugoslawen. Die seit dem Kaiserreich übliche Praxis Ausländer auf unqualifizierten Arbeitsplätzen mit besonders schwerer, schmutziger, gefährlicher oder allgemein unbeliebter Arbeit einzusetzen, hielt an. Man glaubt es heute kaum, aber noch 1960 gab es in manchen Gaststätten Verbotsschilder für Italiener. Mit dem Anwerbestopp und dem Wiedereinreiseverbot für Nicht-EG Ausländer 1973 sank zwar die Anzahl der Erwerbstätigen, die Zahl der in Deutschland wohnenden Ausländer stieg aber dennoch an. Gastarbeiter wurden Einwanderer, obwohl noch 1977 darauf bestanden wurde, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. Man konzentrierte sich fortan auf die Bekämpfung eines angeblichen „Asylantenstroms“. Erstmals wurde im bayerischen Landtagswahlkampf 1986 das Thema „Asylbetrüger“ eingesetzt. Auch Aussiedler mit deutscher Staatsbürgerschaft und Bürgerkriegsflüchtlinge, die auf Grund der Genfer Konventionen vorübergehend aufzunehmen waren, wurden nun Teil des „Problems“. Eine innenpolitische Kampagne sollte zu einer Änderung des Grundrechts auf Asyl führen. Asylbewerber wurden nunmehr fast grundsätzlich als Betrüger und Schwindler dargestellt. Zwar wurde durch die Kampagne die Quasi Abschaffung des Asylrechts 1993 erreicht, aber die Frage der Zuwanderung war dadurch natürlich nicht gelöst, wie man auch heute wieder sehen kann. Ernst Reuß Literatur: Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland, Saisonarbeiter-Zwangsarbeiter-Gastarbeiter-Flüchtlinge, Beck Verlag München 2001, 442 Seiten Klaus J. Bade Deutsche im Ausland, Fremde in Deutschland: Migration in Geschichte und Gegenwart, Beck Verlag München 1992, 542 Seiten
Michael Hartmann, er war Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt, bezeichnet sich selbst als „Elitenforscher“. In seinem neuesten Buch „Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden“ arbeitet er sich folgerichtig an den Eliten ab. Das Buch resümiert offenbar seiner bisherigen Bücher, die sich alle um dasselbe Thema drehen und ist ein Rundumschlag gegen politische und andere Eliten. Er fasst diese unter dem Begriff „Machteliten“ zusammen; Wissenschaftler oder Kulturschaffende subsumiert er nicht unter seinem Elitenbegriff. Nach seiner Ansicht ist die deutsche Machtelite ein geschlossener Kreis, der eher von der Herkunft als durch Leistung bestimmt ist. Es sind nicht unbedingt die Besten, die in diesen Kreis kommen – auch wenn sie dies ihrer eigenen außergewöhnlichen Leistungsfähigkeit zuschreiben. Eliten glaubten zudem, dass für sie eigene Regeln gelten würden, wodurch in der Normalbevölkerung Wut und Frust erzeugt werden. Zum Beweis seiner These führt Hartmann in seinem Buch etliche Beispiele an und kritisiert die massiven Abfindungen, Steuergeschenke und Steuerhinterziehungen der sogenannten Elite.
Die Elite und die Normalbevölkerung driften nicht nur nach seiner Ansicht immer weiter auseinander. Die Elite lebt ohne finanzielle Sorgen isoliert in ihrer eigenen Blase, so dass sie zunehmend Schwierigkeiten hat, die Probleme der Normalbevölkerung zu erkennen. Zum Beweis zitiert er den Siemenschef Kaeser, der sich die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich damit erklärte, dass sich „viele Arbeitnehmer nicht an der Vermögensbildung durch Aktien“ beteiligen. Der Siemenschef kann sich offenbar nicht vorstellen, dass am Ende des Monats nichts für den Aktienkauf übrig bleibt. Wie sollte so jemand dann verstehen können, welche Folgen so manche seiner Entscheidung für „Normalos“ hat. Alles altbekannte Probleme, aber der ideale Nährboden für Unzufriedenheit und Populismus. Trump, Le Pen und die AFD seien nur deswegen groß geworden, so Hartmann. Auch der Brexit sei Schuld der Eliten, denn Premier David Cameron komme aus der britischen Upperclass und habe die Stimmung im Land völlig verkannt. Er selbst sieht sich als linker Gesellschaftskritiker und die Kapitelüberschriften sind daher auch Programm. Sie lauten zum Beispiel: „Die Mächtigen – Skandale und kein Unrechtsbewusstsein“, „Der Aufstieg des Rechtspopulismus – eine Antwort auf das Elitenverhalten“, „Wie Eliten die soziale Ungleichheit vorantreiben“, „Eigennutz vor Gemeinnutz – so ticken die Eliten“, „Abgehoben und abgeschottet: Die Eliten leben in ihrem eigenen Kosmos“ und schließlich „Steuerpolitik und Agenda 2010 – ein Jahrzehnt der Umverteilung nach oben“, sowie „Eine Politik jenseits des Neoliberalismus ist nötig und möglich“. Die Notwendigkeit einer anderen Politik begründet er auch damit, dass die Zahl der Obdachlosen und die Anzahl der Milliardäre sich in den letzten Jahren nahezu verdoppelt haben. Eliten treiben laut Hartmann die soziale Ungleichheit voran und sind eher Nutznießer davon, wie beispielsweise bei der Gentrifizierung. Er hat dabei Recht, wenn er empört feststellt: „Dass das Jobcenter Dortmund Mitte 2017 einem Empfänger die Unterstützung wegen zusätzlicher Einnahmen durch Betteln um 270 Euro gekürzt hat, das bildet einen enormen Kontrast zur behördlichen Langmut im Cum-Cum- und Cum-Ex- Skandal.“ Aber all das sind keine Neuigkeiten. Albrecht Müller und andere hatten den Neoliberalismus schon vor fast 15 Jahren verteufelt und ähnliches geschrieben. Hartman tritt häufig in den Medien auf, was ihn nicht daran hindert auch diese zu schelten, weil sie nach seiner Meinung mitunter „Fake News“ verbreiten. So hätten manche Medien seine offensichtlich favorisierten Politiker Jeremy Corbyn und Bernie Sanders als Spinner dargestellt und aufgrund ihrer eigenen privilegierten Situation nicht verstanden, „wie große Teile der Bevölkerung denken und welche politischen Schlussfolgerungen sie daraus ziehen.“ Er meint, dass das zwar keine bewusst verfälschte Darstellung oder böser Wille sei, sondern dem verengten Blickwinkel durch die eigene Situation und Herkunft geschuldet sei. Inwieweit das auch auf ihn zutreffen könnte, wird nicht reflektiert. Hartmann analysiert den aufkommenden Rechtspopulismus in Deutschland und meint, „die Antwort auf Politikverdrossenheit und Rechtspopulismus kann nur in einer grundlegenden Abwendung von der herrschenden neoliberalen Politik liegen. Notwendig dafür sind eine von der Basis ausgehende, durchgreifende Erneuerung der Parteien des linken Spektrums und eine daraus resultierende massive soziale Öffnung der politischen Elite.“ Jeremy Corbyn habe dies nun in seiner Partei getan und neue Politeliten geschaffen. Ob die anders agieren werden, wird die Zeit zeigen. Unter anderem das aktuelle Beispiel Nicaragua oder Venezuela kann Zweifel an dieser These wecken. Mögliche andere Ursachen für den Rechtspopulismus sieht Hartmann eher nicht. Xenophobie und Rassismus sind nicht sein Thema. Seines Erachtens sind die Wurzeln allen Übels die Eliten und die Umverteilung von unten nach oben. Eine scheinbar einfache Erklärung. Nach seiner Interpretation hätte der linke Bernie Sanders einen Donald Trump verhindern können, was sich im Nachhinein natürlich leicht behaupten lässt. Ihm und Jeremy Corbyn aus Großbritannien würden die Zukunft gehören, nicht jedoch Emmanuel Macron. Deutsche politische Zukunftshoffnungen benennt er nicht, lässt aber vermuten, wen er dafür hält. Das Buch endet mit dem Satz „Ein grundlegender Politikwechsel ist also möglich, auch wenn es in Deutschland derzeit nicht danach aussieht.“ In linkspopulistischen, aber auch in rechtspopulistischen Kreisen wird das Buch sicherlich Verbreitung finden und das darin enthaltene Elitenbashing bestimmt genüsslich rezitiert werden. Hartmann verwendet im gesamten Buch übrigens nur die männliche Form, „weil es bei einem Anteil der Männer in den Eliten von ungefähr 90 Prozent der Realität weitgehend entspricht.“, so seine Begründung. Ernst Reuß Michael Hartmann, Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden, campus Verlag, Frankfurt a. M. 2018, 276 Seiten, 19,95 Euro |
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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