Weiheraum heißt der Roman von Klaus Marxen und bezieht sich auf einen Raum im Wiener Landesgericht, in dem an die Opfer der NS-Justiz in Wien erinnert wird. Marxen, der als Strafrechtsprofessor an der Humboldt-Universität tätig war, erzählt darin von zwei Familiengeschichten, einer tschechischen und einer deutschen, die 1943 bei einer Verhandlung des Volksgerichtshofs in Wien zusammentreffen.
Einer der Protagonisten arbeitet als Ankläger beim Volksgerichtshof. Eher ein Karrierist als ein überzeugter Nationalsozialist, der mit viel Verständnis porträtiert wird. Die andere Protagonistin, eine Tschechin, wird aufgrund seiner Anklage zum Tode verurteilt, weil sie ihrem widerständigen, schwer verletzten Bruder Lebensmittel und Medikamente bringt. Kurz vor ihrer Hinrichtung bringt sie eine Tochter zur Welt. Ihr Ankläger adoptiert ein am gleichen Tag geborenes Mädchen aus einem Heim des SS-Lebensborn und quält sich bis zu seinem Tod mit der Frage, ob es das Kind jener Frau ist, deren Todesstrafe er beantragt hat. Nach Kriegsende wird der Jurist verhaftet und bei den Waldheimer Prozessen zum Tode verurteilt. Es gab einen solchen Fall. Marxen schließt somit den Kreis von der Unrechtsjustiz im Dritten Reich zur Unrechtsjustiz in der DDR, auch wenn man das schon angesichts der Quantität von Todesurteilen nicht unbedingt vergleichen kann. Zum Schluss treffen sich seine Tochter und die Tochter der ermordeten Tschechin, ohne voneinander zu wissen. Ein Melodrama, aber es handelt sich schließlich ausdrücklich um einen Roman, was schade ist, denn die historische Schilderung eines derartigen Falles wäre sehr viel interessanter gewesen. Realistischer wäre auch gewesen, wenn der Ankläger auch im Nachkriegsdeutschland ohne Gewissensbisse wieder angeklagt und Karriere gemacht hätte, denn das war meistens der Fall bei Juristen, die während der Nazizeit Todesurteile zu verantworten hatten. Es ist zu dick aufgetragen, wenn der Täter an seinen Gewissensbissen zugrunde geht. Zu viel Melodramatik, bei der immer wieder mitschwingt, dass es genauso hätte gewesen sein können. Das Buch wurde von der Wirklichkeit inspiriert, aber Handlung und Dialoge wurden frei erfunden. Auch die Namen wurden geändert, so dass man die Geschichte nicht wirklich mit wahren Geschehnissen vergleichen kann. Die wahren Protagonisten hinter der Geschichte sind wohl Johanna Cupal (siehe unten) und der Staatsanwalt Wilhelm Klitzke. Rolf Hochhuth hat das bei seinem Buch „Eine Liebe in Deutschland“ geschickter gelöst, indem er zwischen Romanhandlung und Sachverhaltsschilderung von Kapitel zu Kapitel abwechselte. Ernst Reuß Klaus Marxen, Weiheraum, Bouvier Verlag, Bonn 2015, 260 S., 19,99 EUR Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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