„Dies alles ist vor so langer Zeit geschehen, vor sechzig Jahren. Die Erinnerungen verblassen ein wenig, aber sie geraten niemals in Vergessenheit. Und was denke und fühle ich, wenn ich hier vor Ihnen stehe und meine Familie, meinen Sohn und meine Tochter, ihre Partner, meine Enkel und meinen Mann sehe, die die weite Reise von Australien nach Berlin auf sich genommen haben, um bei mir zu sein und mich mit ihrer Liebe und ihrer Unterstützung zu beschützen? Was habe ich aus meinen bitteren Erfahrungen gelernt? Ich habe gelernt, dass Hass immer Hass hervorbringt. Ich habe gelernt, dass wir nicht schweigen dürfen und dass jeder Einzelne von uns gegen das Böse in Gestalt von Rassismus, Diskriminierung, Vorurteilen, Unmenschlichkeit kämpfen muss.Ich habe wiederholt gesagt, dass ich nicht an Kollektivschuld glaube. Und ich erlaube mir, die Worte des großen Schriftstellers und außergewöhnlichen Menschen Elie Wiesel wiederzugeben: »Die Kinder der Mörder sind keine Mörder. Wir dürfen ihnen niemals die Schuld für das geben, was ihre Vorfahren getan haben. Aber wir können sie zur Verantwortung ziehen, wie sie mit der Erinnerung an das Verbrechen ihrer Vorfahren umgehen.«
Es war das Schicksal unseres Volkes, mit den schlimmsten Erscheinungen des Bösen in der Geschichte der Menschheit konfrontiert zu werden, und dennoch: Unsere Unterdrücker sind untergegangen, und wir haben überlebt. Aus dieser Perspektive blicken wir in die Zukunft, zuversichtlich, dass letztlich der menschliche Geist über die brutale Gewalt siegt. Die ist nicht nur ein Sieg für das jüdische Volk, sondern auch ein Sieg aller guten Menschen über das Böse.“ (Auszug aus der Rede zur Eröffnung des Holocaustmahnmals am 10. Mai 2005. Zitiert aus: Sabina van der Linden-Wolanski: Drang nach Leben. Erinnerungen, hrsg. von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 2010, Seite 230) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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