Kein historisches Sachbuch, sondern eine neue Krimireihe im historischen Kontext hat sich der Droemer Verlag vorgenommen. Der erste Teil der Reihe heißt „Pandora. Auf den Trümmern von Berlin.“ Nicht die Zwischenkriegszeit, wie in „Babylon Berlin“, sondern die Nachkriegszeit wird dabei beleuchtet. Eine Zeit, zwar nicht so schillernd wie die „Roaring Twenties“, aber ebenfalls ein ausgesprochen spannender historischer Abschnitt, der heutzutage weitaus weniger Beachtung findet. Umso interessanter könnte diese Krimireihe sein.
1948 kehrt der als Kind geflüchtete Hans-Joachim Stein aus London in seine von Krieg, Zerstörung, Spaltung und Blockade gebeutelte Heimatstadt Berlin zurück. Sein Vater hatte ihn nach dem Reichstagsbrand nach England in Sicherheit gebracht. In London wurde er später bei Scotland Yard ausgebildet, nun ging er zur Mordkommission nach Berlin zurück. In der neu gegründeten West-Berliner Polizei traut man ihm nicht so richtig über den Weg, auch weil sein Vater, ein ehemaliger kommunistischer Widerstandskämpfer, mittlerweile bei der Ost-Berliner Polizei Karriere gemacht hatte. Der „Kalte Krieg“ und das was zuvor im „Dritten Reich“ geschah, lassen diesbezüglich interessante Konstellationen zu. Der Mord an einen bekannten Schieberkönig wird zu seinem ersten Fall. Steins Vorgesetzter versucht mit allen Mitteln, die in der Vergangenheit liegenden Hintergründe, die mit der Geschichte der heutigen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin-Reinickendorf verbunden sind, zu vertuschen. Das motiviert Stein jedoch umso mehr den Fall zu lösen. Seine ehrgeizige und vorlaute Schreibkraft, die Kriminalbeamtin werden will, hilft ihm dabei – was schon frappierend an „Babylon Berlin“ erinnert. Nicht der einzige Anklang, aber lobenswerterweise auch ähnlich spannend. Um den Hintergrund dieses Krimis mit zeitgeschichtlichem Hintergrund besser einordnen zu können, empfiehlt es sich, ein historisches Sachbuch wie dieses hier zu lesen, in dem die Hintergründe für die Spaltung der Berliner Polizei beschrieben und analysiert werden und in dem unter anderem steht: „Die Spaltung der Polizei war durch die Suspendierung des Polizeipräsidenten Paul Markgraf Ende Juli 1948 eingeleitet worden. Markgraf wurde (…) wegen „unsozialer, undemokratischer und undeutscher Haltung“ sowie „fortgesetzter verfassungswidriger und ungesetzlicher Maßnahmen“ suspendiert. (…) Die Entlassung wurde durch die, wohl auch hinter der Suspendierung stehenden, westlichen Alliierten genehmigt und Dr. Johannes Stumm wurde zum kommissarischen Polizeipräsidenten ernannt.“ Dagegen wehrte sich der sowjetische Stadtkommandant und befahl, Stumm „wegen spalterischer“ Tätigkeit aus dem Polizeidienst zu entlassen. Der Befehl blieb, da die Sowjets zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Kommandantur ausgetreten waren, ohne Folgen. Da sich Markgraf weigerte, sowohl sein Amt zu übergeben als auch die im sowjetischen Sektor gelegenen Diensträume freizugeben, verlegte Stumm das Dienstgebäude der Polizei in den US-Sektor und forderte die Polizeiangehörigen auf, dort ihren Dienst fortzusetzen. Mit diesem Schritt war nun die Polizei gespalten. Ein Durcheinander mit gegenseitigen Verhaftungen und Kompetenzstreitigkeiten war die Folge. „Fortan wurde die Ostpolizei – westlicherseits – nur noch „Markgrafpolizei“ und die Westpolizei – östlicherseits – nur noch als „Stummpolizei“ tituliert. (…) Die Verbrechensverfolgung wurde dadurch natürlich sehr erschwert. Banden nutzten die Sektorengrenzen, begingen auf der einen Seite ein Verbrechen und flüchteten anschließenden in den anderen Sektor, wohin die jeweilige Polizei nicht folgen durfte. (…) Wenn es die Verbrechensaufklärung erforderte mussten sich die Kriminalkommissare wie Parlamentäre im Niemandsland an den Sektorengrenzen treffen, um ihr Wissen auszutauschen. Logischerweise behinderte und verzögerte auch das die Polizeiarbeit.“ Sowohl der Krimi als auch die Sachbücher ausgesprochen lesenswert! Liv Amber, Alexander Berg, Pandora: Auf den Trümmern von Berlin, Broschiert 448 Seiten, Droemer HC, München 2020, 14,99 € Ernst Reuß, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern: Justizalltag im Nachkriegsberlin, erma Berlin 2017, 19,89 € bzw. als e-book 9,99 € Forschungsgruppe Geschichte d. Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik (Herausgeber). Totgeschwiegen 1933-1945. Die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik im Nationalsozialismus: Zur Funktion der Psychiatrie im Dienst nationalsozialistischer Gesundheitspolitik (Reihe Deutsche Vergangenheit), Broschiert. Berlin 1988 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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