Sven Felix Kellerhoff versucht sich an einer umfassenden Gesamtdarstellung der NSDAP. Zwei Drittel des Buches handeln vom Aufbau und Aufstieg dieser Partei bis Januar 1933. Der Rest handelt von den zwölf Jahren bis zum Ende der NSDAP, mit den bekannten Folgen. Spätestens 1945 war alles anders. Nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Der Chronist der 78. US-Division fasste die Erfahrungen seiner Kameraden mit der deutschen Bevölkerung nach der Befreiung in einem Satz zusammen: „Es gab keine Nazis, auch keine Ex-Nazis, und nicht einmal irgendeinen Nazi-Sympathisanten.“ Dies stellten einige Besatzer nach dem Krieg fest, doch in den Jahrzehnten zuvor gab es Nazis zuhauf. Mit bis zu 8,5 Millionen Mitgliedern war die NSDAP die größte Partei, die es in der deutschen Geschichte gab. Kellerhoff beschreibt in seinem Buch akribisch, interessant und lesenswert die Anfänge, die Machtergreifung und den Untergang der Partei. Neben anderen Quellen nutzt Kellerhoff erstmals auch 683 subjektive Berichte von NSDAP-Sympathisanten, die ein amerikanischer Soziologe bereits 1934 mittels eines Preisausschreibens gesammelt hatte. Schon der Beginn der Partei war bemerkenswert. Kellerhoff schreibt: „Anfang Januar 1920 war Hitler noch nicht mehr als der beste Redner einer winzigen Gruppierung mit knapp 200 zahlenden Mitgliedern. Das Potenzial für eine aggressive Rechtspartei in München war hingegen weit größer.“ Dies habe sich zum Beispiel am 7. Januar 1920 gezeigt als der „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ in den größten Bierausschank Münchens eingeladen hatte. Thema des Abends sollte „Die Judenfrage“ sein. Als Redner war ein wenig bekannter Funktionär angekündigt und dennoch strömten fast 7 000 Besucher in den überfüllten Saal. Tausende andere versuchten ebenfalls eingelassen zu werden. Offenbar war es das Thema, das die Leute interessierte. Laut Kellerhoff schimpfte der Redner auf die „Stinkbande“ und auf die „Vaterlandsverräter“. Er forderte, den „jüdischen Saustall“ aufzuräumen und erntete frenetischen Beifall sowie Zwischenrufe wie „Am Marienplatz gehören sie alle aufgehängt!“. Hitler, der ebenfalls anwesend war, ergriff später das Wort und steigerte die Hasstiraden seines Vorredners mühelos. Es war einer der Wegmarken zur Gründung der NSDAP, die offiziell im Februar 1920 erfolgte, um der „Verjudung“ Berlins entgegenzutreten. Parallelen zu heutigen Zeiten kann man durchaus ziehen, auch wenn Kellerhoff nicht explizit darauf hinweist. Der Hass auf die Juden und auf „die da oben“ war der Kitt, der die unterschiedliche Interessen zusammenhielt und aus einer anfangs belächelten Partei, nach heftigen internen Querelen, ein Monstrum schuf. Ernst Reuß Sven Felix Kellerhoff, Die NSDAP, Eine Partei und ihre Mitglieder, 441 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Stuttgart 2017, 25,00 EUR Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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