Mit „Meine liebe Elli!“ beginnen die meisten der rund zweihundert Briefe die Johann Bösche 1942 und 1943 seinem Bruder August und seiner Gattin Elisabeth schrieb. Am Tag vor seiner Einberufung hatte er die zehn Jahre jünger Frau geheiratet. Der 1907 geborene Bösche war 1933 in die NSDAP eingetreten, weil er sich davon Vorteile versprach. Kurzfristig sollte das auch so sein. Als Sonderführer für die besetzten Ortsgebiete unterstützt er die Ausbeutung der ukrainischen Landwirtschaft. Dort wurde nach dem Scheitern des „Blitzkriegs“ eine spezielle Landwirtschaftsverwaltung aufgebaut, um den Krieg weiterführen zu können. Die Ukraine galt als Kornkammer für das „Dritte Reich“ und für die besetzten Ostgebiete. Er selbst beschrieb seine Tätigkeit so: „Ich bin im Stabe des hiesigen Gebietslandwirtes, also ein richtiger Büromensch. Dienstzeit von 7-12h und von 13.30-17h, sonnabends bis 13h und nachmittags frei.“
Die Briefe und die vielen Fotos, die er dort knipste, sind zeitgeschichtlich hochinteressante Dokumente. Es zeigt deutsche Herrenmenschen im Hinterland, die vom Kriegsalltag an der Front kaum etwas mitbekamen. Häufig ging es in den Briefen um finanzielle Dinge, was auch die Prioritäten beschreibt. Zu Beginn seiner Tätigkeit in der Ukraine schrieb Bösche: „Die Bewohner sind Ukrainer und Polen. In der Kleidung kennt man teils die Einheimischen nicht von den Deutschen ab. Die Mädel gehen teils sehr elegant mit geschminkten Lippen. Die Ukrainer verrichten Militär- und Polizeidienste im Dienste der deutschen Wehrmacht. Viele der Ukrainer sind bei der Gefangenenbewachung eingesetzt. Die gefangenen Russen sind ein völliges Völkergemisch, die sind bei den Aufräumarbeiten beschäftigt.“ Der Hungertod von Kriegsgefangenen wurde von der Wehrmacht billigend in Kauf genommen. Mit dem vom Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft entwickelten „Hungerplan“ wurde außerdem einkalkuliert, dass infolge des Entzugs von Nahrungsmitteln bis zu dreißig Millionen sogenannte „slawischen Untermenschen“ verhungern würden. Es galt Platz zu schaffen für „arische“ Siedler. Die Briefe blenden dies jedoch vollkommen aus. Es geht dort um banale Alltagsprobleme, nur selten scheint die – für die einheimische Bevölkerung - schreckliche Realität durch. Am 24. August 1942 schrieb er: „Wenn dies Land einmal richtig bewirtschaftet werden kann, so läßt sich hier bestimmt gut leben. Fruchtbar ist das Land nun einmal. Über die Zukunft wollen wir uns mal keine Gedanken machen, vor allem müssen wir den Krieg gewinnen. Ich möchte den Krieg nicht überleben, wenn es anders kommen sollte. Ein Zurück gibt es für uns nicht mehr.“ Diesbezüglich irrte er sich, denn nach der verheerenden Niederlage von Stalingrad im Januar 1943 begann der allmähliche Rückzug. Ab März 1943 wurden Bösches Sorgen größer, denn Partisanen, im NS-Sprachgebrauch „Banditen“ genannt, wurden auch in seiner unmittelbaren Umgebung aktiv. Man spürt in den Briefen die aufkommende Angst. Bösche denkt wohl an sein Vermächtnis, als er am 21. März schrieb: „Meine liebe Elli, wenn ich jetzt etwas niederschreibe, was Dich vielleicht beunruhigt, so geschieht es nicht aus dem Grunde, weil ich annehme, nicht mehr in die geliebte Heimat zurück zu kehren, sondern nur meine Gedanken für die Erziehung unserer Kinder Ausdruck zu geben. (…) Nimm Dir meine Zeilen bitte augenblicklich nicht zu sehr zu Herzen und vor allem verliere nicht den Lebensmut.“ Seit März gab es viele Angriffe von Partisanen. Kollaborateure wurden umgebracht. Bösche wähnte sich selbst auch auf deren Todesliste und schrieb: „Ich lege allerdings keinen Wert darauf, in diesem Sand begraben zu werden. Hoffentlich kommt es auch nicht dazu. Es ist hier noch immer unruhig. Die Bürgermeister werden in den einzelnen Dörfern nachts, gestern auch schon am Tage, erschossen. Die für uns arbeiten fühlen sich nicht mehr sicher und wir können auch nichts dabei machen.“ Die danach folgenden Briefe wurden immer kürzer und angespannter. Am 10. November 1943 durfte er Iwankow, wo er zuletzt tätig war, verlassen. Die Rote Armee war durchgebrochen. Im Sommer 1944 war die gesamte Ukraine von der Wehrmacht befreit. Johann Bösche wird Flaksoldat und überlebt in englischer Gefangenschaft. Die Briefe und Fotos lagen viele Jahrzehnte auf dem Dachboden, bis ein deutsch-ukrainisches Jugendforschungsprojekt sich mit der Geschichte von Iwankow zu beschäftigen begann, Die Ergebnisse wurden schließlich lobenswerterweise in diesem schön illustrierten Buch dokumentiert, welches von einem der Söhne Bösches herausgegeben wird. Ernst Reuß Bösche, Harald (Herausgeber), "Meine liebe Elli...!", Fotos, Briefe und Berichte aus der Gebietslandwirtschaft Iwankow (Ukraine) 1942-1943, 298 Seiten, Format 20x26cm, Hardcover mit Schutzumschlag, 171 Abbildungen, umfangreicher Index, 29,90 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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