Der 1885 geborene Arzt Zygmunt Klukowski, der das Krankenhaus von Szczebrzeszyn in der Region Lublin in Polen leitete, führte während der deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg Tagebuch. Das bereits 1958 in Polen verlegte Buch wurde erst jetzt auf Deutsch übersetzt und erschien nun im Metropol Verlag.
Detailliert zeigt es das dortige Leben unter deutscher Knute. Vor allem die Juden hatten zu leiden: sie wurden ausgeraubt, gequält und schließlich ermordet. Am 17. Juli 1940 schrieb Klukowski: „Der heutige Tag war sehr schwer für die Juden. Einige Monate lang hatten sie vergleichsweise Ruhe. (…) Sie begannen schon, sich in einer für sie typischen Weise in Sicherheit zu fühlen, was man an ihrem Verhalten auf der Straße sehen konnte. Aber in den letzten Tagen kam plötzlich die Nachricht, dass 500 Juden aus Szczebrzeszyn in ein Arbeitslager gebracht werden sollen. Es entstand unter ihnen unheimliche Panik und Betriebsamkeit. (…) Nach energischen Bemühungen erreichten sie endlich, dass die Zahl auf 130 reduziert wurde. (…) Der ‚Judenrat‘ bestimmte 130 junge Männer und händigte jedem von ihnen einen namentlichen Gestellungsbefehl aus, aber nur 98 meldeten sich. Der Rest flüchtete oder versteckte sich. Aus Zamošé kamen Gestapoleute. Außerdem 20 berittene Soldaten. Die Jagd auf die Juden begann. (…) Einige der Flüchtigen wurden gefunden, anstelle der anderen wurden die Eltern genommen. Auch die Mitglieder des ‚Judenrates‘ wurden bestraft. Der stellvertretende Vorsitzende wurde mit Knüppeln geschlagen und musste eine Stunde lang flach auf dem Marktplatz liegen. (…) Die gesamte Zwangsrekrutierung wurde von einer großen Menge der polnischen Bevölkerung beobachtet. Auf den Gesichtern war nicht die geringste Spur von Mitgefühl zu erkennen, im Gegenteil, sie lachten und scherzten.“ Klukowski war ein guter Beobachter, der im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute offenbar Mitgefühl mit seinen jüdischen Mitbürger hatte. Zwar wurde auch die nichtjüdische polnische Bevölkerung schikaniert und umgebracht, aber besonders musste sich die jüdische Bevölkerung die ständig Drangsalierungen und Demütigungen gefallen lassen, bis man sich endgültig ihrer entledigte. Klukowski schrieb am 8. April 1942: „Wir wissen bereits jetzt mit völliger Sicherheit, dass nach Belzec täglich ein Zug aus Lublin und einer aus Lemberg kommt, jeder mit über 20 Waggons. Hier lassen sie die Juden aussteigen, treiben sie hinter die Umzäunung aus elektrischem Strom [oder vergiften sie mit Gas] und verbrennen dann die Leichen. Bereits unterwegs sehen die Menschen, vor allem Eisenbahner fürchterliche Szenen, denn die Juden wissen schon gut, warum sie sie dorthin bringen und dabei geben sie ihnen nichts zu essen oder zu trinken. An der Station von Szczebrzeszyn haben Eisenbahner mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Ohren gehört, wie ein Jude durch das Fenster des Waggons 150 Zl. für ein Kilo Brot gegeben hat, und eine Jüdin hat für ein Glas Wasser für ihr sterbendes Kind einen goldenen Ring vom Finger gezogen. Einwohner von Lublin erzählten mir völlig unvorstellbare Szenen, dass dort kleine jüdische Kinder aus dem Fenster geworfen werden, Kranke an Ort und Stelle und Gesunde außerhalb der Stadt erschossen und Tausende nach Belzec gebracht werden usw.“ Das war nur der Vorgeschmack, denn bereits kurze Zeit danach wurden auch die Juden aus Szczebrzeszyn zusammengetrieben und in der Gaskammer von Belzec ermordet. Diejenigen, die auch diesem Grauen entkamen, wurden später von willfährigen Einheimischen aus ihren Verstecken gezerrt, den Behörden übergeben oder gleich umgebracht. Für die Besatzer begann jedoch der Niedergang, wie man gut anhand der Tagebucheinträge nachvollziehen kann. Immer öfters wurden auch deutsche Besatzer von Partisanen getötet und verübten selbst wieder Racheexzesse an der einheimischen Bevölkerung, denn Juden waren ja keine mehr vorhanden. Ende Juli 1944 war es dann zu Ende mit der deutschen Besatzung. Nach dem Krieg kam Klukowski, der von den Deutschen zwischendurch auch inhaftiert worden war, öfter mit der neuen Staatsmacht in Konflikt und wurde dreimal verhaftet. Sein Sohn, Mitglied einer antikommunistischen Untergrundorganisation, wurde sogar hingerichtet. Klukowski selbst starb 1959. Sein Tagebuch bleibt auch heute noch bemerkenswert und ist ein ausgesprochen interessantes Dokument der Zeitgeschichte. Ernst Reuß Zygmunt Klukowski: Tagebuch aus der Zeit der Okkupation 1939–1944 Hg. v. Christine Glauning und Ewelina Wanke. Metropol Verlag Berlin, 583 S., 29,90 Euro. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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