Der Hobbyhistoriker Harald Sandner hat viel Geld in seine Forschungen über Adolf Hitler gesteckt und in seinem Werk „Hitler. Das Itinerar“ auf mehr als 2400 Seiten jeden einzelnen Lebenstag Hitlers aufgezeichnet. Als Itinerar werden von Historikern normalerweise die dokumentierten Reisewege mittelalterlicher Herrscher bezeichnet und Sandner dokumentierte Hitlers gesamtes Leben; eine bemerkenswerte Leistung.
Nun hat er mit „Hitler – Das letzte Jahr, Chronologie einer Apokalypse“ aufs Genaueste dessen letztes Lebensjahr nachgezeichnet und in einem neuen, umfangreichen Buch veröffentlicht. Im letzten Jahr Hitlers sind laut Sandner mehr Opfer zu beklagen als in den viereinhalb Jahren des Zweiten Weltkrieges zuvor. Die Chronik ist sehr detailliert und kenntnisreich, außerdem wird sie durch interessantes, bisher unveröffentlichtes Bildmaterial, sowie um eine Lageskizze und den architektonischen Aufriss der Gebäude, in denen Hitler verkehrte, ergänzt. Dazu vermengt Sandner tägliche Arztbulletins von Hitlers Leibarzt Morell, einschließlich der unappetitlichen Beschreibung seiner Stuhlproben, mit von der um sich schlagenden Nazijustiz verhängten Todesurteilen wegen Defätismus. Ein atemloser Geschichtsspaziergang durch das letzte Jahr Hitlers, wobei es mitunter zu Redundanzen kommt. Sandner versucht, alle seine verdienstvollerweise erworbenen Forschungsergebnisse unterzubringen; gelegentlich wären aber weniger Details besser gewesen. Zwar erfährt man mitunter spannende Neuigkeiten, aber leider verzichtet der Autor trotz einer langen Literaturliste, inklusive Fernsehdokumentationen und Kinofilme, komplett auf Anmerkungen. Fragwürdige Quellen und Zahlen werden übernommen, können aber wegen fehlender Fußnoten nicht nachgeprüft werden. So wird das Schicksal eines Unteroffiziers aus der Opferperspektive erzählt, obwohl die „Frontsau“ an der Belagerung Leningrads und wahrscheinlich an anderen Scheußlichkeiten beteiligt gewesen war, worauf der Autor aber nicht näher eingeht. Für Sandner bleibt der „harte Knochen“ ein Opfer. Als Täter werden in der Regel nur Rotarmisten benannt, wobei auch NS Propaganda – wenn auch mit Fragezeichen - übernommen wird. Ansonsten gibt es für Sandner nur einen Täter, nämlich Hitler. Schon in seinem Prolog schreibt er: „Ohne ihn verfällt alles augenblicklich. Nach seinem Tod ist der Krieg binnen weniger Tage zu Ende.“ Sandner ignoriert die Tatsache, dass nach der Einnahme Berlins auch mit Hitler der Krieg nicht mehr lange gedauert hätte. Am Ende des Buches wird drastisch und minutiös der „Untergang“ beschrieben. Ein berserkerhafter Hitler, der bis zu seinem selbstgewählten Ende noch viele in den Tod mitreißt. Leider lässt sich auch hier nicht nachvollziehen, ob Sandners Schilderung eventuell vom Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz oder durch sonstige Quellen inspiriert ist. Trotz der beschriebenen Mängel gelingt dem Autor ein lesenswerter Rundumschlag, mit dem ein Gefühl für das letzte Jahr des mehr und mehr verzweifelten Hitler vermittelt werden kann. Ernst Reuß Harald Sandner, Hitler – Das letzte Jahr, Chronologie einer Apokalypse, Berlin Story Verlag, Berlin 2018, 678 Seiten, 49,95 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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