Trotz Bombardierung Berlins fanden bis zum Ende des Krieges immer noch ganz normale Gerichtsverfahren statt. Da die öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr funktionierender gingen noch viele Richter brav zu Fuß zu ihren Arbeitsplätzen.
Erst mit Einnahme durch die Rote Armee Ende April 1945 wurde die Rechtsprechung gänzlich eingestellt Die neuen Machthaber aus der Sowjetunion handelten jedoch schnell und bauten die Gerichte mit neuem Personal auf. Sie besetzten die Stellen der Gerichtsvorstände nicht mit linientreuen Kommunisten, sondern mit Antifaschisten aus dem eher bürgerlichen Lager. Dr. Arthur Kanger, der neue Stadtgerichtspräsident, war kein Jurist, sondern Pharmazieprofessor. Immerhin hatte er zuvor etwas mit der Justiz zu tun gehabt. Er war langjähriger Gerichtschemiker. Außerdem stammte er aus dem Baltikum und hatte mehrere Jahre in Odessa als Hochschullehrer gewirkt. Deshalb sprach er Russisch, was den Chronisten zufolge wohl der Hauptgrund für seine Ernennung gewesen sein dürfte. Außerdem wurden Dr. Günther Greffin und Dr. Wilhelm Kühnast in die führenden Gerichtspositionen berufen. Greffin war vorher als Rechtsanwalt und Syndikus bei den Firmen Schultheiss und Salamander tätig gewesen. Er hatte sich zunächst freiwillig als einfacher Transportarbeiter zur Verfügung gestellt und war während der Aufräumungsarbeiten im Mai 1945 von einem Offizier der Roten Armee in das Amtsgericht Lichtenberg geholt und kurzerhand damit beauftragt worden, im Bereich der Justiz die Aufräumungsarbeiten fortzusetzen. Greffin galt als der eigentliche Kopf des Gerichts. Als Generalstaatsanwalt wurde der 46-jährige, seit 1936 am Amtsgericht Berlin tätige frühere Zivilrichter und Ex-Sozialdemokrat Kühnast eingesetzt. Überliefert ist die Anekdote, dass Bersarin bei der Besetzung der Generalstaatsanwaltsstelle seine Berater gefragt haben soll, wer denn der „größte“ Jurist von den eilig zusammengetrommelten zukünftigen Führungskräften sei. Woraufhin ihm Kühnast benannt wurde. Bersarin soll anschließend mit den Worten „Du Generalstaatsanwalt“ auf ihn gedeutet haben. Eine schriftliche Ernennungsurkunde schien im damaligen Tohuwabohu überflüssig. Der Übersetzer hatte die Frage Bersarins statt auf die Bedeutung auf die Körpergröße bezogen. Kühnast, der die Anekdote durchaus auch im kleinen Kreis selbst verbreitet haben soll, war tatsächlich der größte Jurist weit und breit. Ernst Reuß (Vgl. „Endzeit und Neubeginn. Berliner Nachkriegsgeschichten“, Seite 39 ff.) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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