Mordende Frauen sind eher die Ausnahme. Tötungsverbrechen begehen sie vor allem durch die Verabreichung von Gift. Eine Frau, die Männer erdrosselt, ist schon angesichts der Kräfteverhältnisse eine Rarität. Aber auch das gab es, wenn man dem Gericht glauben darf. Zumindest in diesem Fall unmittelbar nach dem Krieg, der auch mit der sich zum 75 mal jährenden Währungsreform in Berlin zu tun hat.
Wegen der Kräfteverhältnisse bestanden aber auch erhebliche Zweifel an Elisabeth Kusians Geständnis. Man vermutete einen männlichen Mittäter. Sogar eine Wahrsagerin mischte sich ein, die „vor ihrem inneren Auge“ einen männlichen Täter gesehen haben will. Daraufhin widerrief Kusian ihr Geständnis und beschuldigte ihren Ex-Mann, die ihr zur Last gelegten Morde aus Eifersucht verübt zu haben. Sie habe ihm nur bei der Beseitigung der Leiche geholfen. Kusians Ex-Mann, mit dem sie auch nach der Scheidung noch eine intime Beziehung unterhielt, wurde zwar verdächtigt, aber nach kurzer Haft als entlastet auf freien Fuß gesetzt. Er war allerdings nicht der einzige Verdächtige. Kusian pflegte mehrere Beziehungen. Auch ihr neuester Liebhaber stand unter Mordverdacht. Kusians Ex-Mann Walter wusste von ihren Liebhabern, diese aber nicht von ihm. Mitunter musste Walter sich selbst als Elisabeths Schwager ausgeben, wenn er sie zufällig mit einem ihrer Geliebten traf. Selbst seine eigenen Kinder wurden dann dazu angehalten, „Onkel Walter“ zu ihm zu sagen. Kusians neue große Liebe war Kriminalsekretär Muschan, angeblich ein glücklich verheirateter Vater von drei Kindern. Um seine Familienverhältnisse mit eigenen Augen zu begutachten, hatte Elisabeth, als Weihnachtsmann verkleidet, die überraschte Familie Muschan vor ihrem Weihnachtsbaum besucht. Ziemlich übergriffig, aber offenbar schöpfte Muschans Ehefrau keinen Verdacht. Kusian hatte ihrem neuen Freund erzählt, ihr Mann, ein Oberarzt, sei verstorben. Dem wiederum hatte sie vor der Ehe anvertraut, sie sei Offizierstochter. Alles erfunden. Ihre eigene Mutter machte Kusian zu einer ungarischen Gräfin, und sie entwarf Todesanzeigen hochrangiger Personen, bei denen sie selbst als stud. med. unter den Hinterbliebenen auftauchte. Elisabeth Kusian dachte sich immer wieder neue Lügengespinste für ihre verworrenen Verhältnisse und Hochstapeleien aus. Ihr Ex-Mann hielt trotzdem immer zu ihr. Der Fall, der ohne die Währungsreform und ohne die Zuständigkeitsproblematiken der geteilten Polizei wohl anders verlaufen wäre, war jedenfalls nicht nur in Berlin eine Sensation. Er fand in der östlichen und westlichen Presselandschaft, aber auch im Ausland reichlich Resonanz. Der Telegraf titelte am 15. Januar 1951: „Lügen, Morphium, Liebe, Mord ...“ Elisabeth wurde am 8. Mai 1914 kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs in dem kleinen Dorf Bornshain in Thüringen als jüngstes von sechs Geschwistern geboren. Sie durchlebte ihre Kindheit und Jugend in Armut, denn der Vater, der als Melker („Oberschweizer“) auf einem Gut sein Auskommen fand, starb 1915 im Krieg, und die Mutter musste die sechs Kinder alleine großziehen. 1936 heiratete sie einen überzeugten Nationalsozialisten, den damals als Wärter einer „Irrenanstalt“ tätigen Walter Kusian, und bekam mit ihm drei Kinder. Er war bereits 1926 in die NSDAP eingetreten und als „alter Kämpfer“ für einen Karrieresprung prädestiniert. Die Familie lebte daher inzwischen in Berlin am Gesundbrunnen. Ihr Mann, der nach der NS-Machtübernahme im Goebbels’schen Propagandaministerium arbeitete, schlug sie und die Kinder. Elisabeth war unglücklich und brachte das immer wieder mit Ohnmachtsanfällen und mehr oder weniger ernst gemeinten Selbstmordversuchen zum Ausdruck. Im Prozess hieß es: „Die Angeschuldigte ist eine psychopathische Persönlichkeit mit einer disharmonischen Charakteranlage und ausgesprochen hysterischen Zügen.“ Ein Sachverständiger, der sie für das Gericht begutachtete, schrieb: „Ein besonders wichtiger Bestandteil ihrer psychopathischen Charakteranlagen ist ihre ungewöhnliche Unaufrichtigkeit und psychopathische Lügenhaftigkeit, die (...) in den letzten Jahren geradezu einen pseudologistischen Charakter angenommen haben und von ihr auch nach Entdeckung ihrer Straftaten in geradezu sinnloser Weise beibehalten worden sind, so daß sich ihre Vernehmungen und auch die ärztlichen Untersuchungen zum Teil außerordentlich schwierig gestaltet haben.“ Nachdem ihr Mann zum Kriegsdienst eingezogen worden war, ging sie fremd und gab seine ganzen Ersparnisse innerhalb kürzester Zeit aus. Vorher hatte er sie ziemlich kurz gehalten. Sie verliebte sich 1942 in einen „Untermusikmeister der Luftwaffe“ und bat um die Scheidung, aber ihr Ehemann willigte nicht ein. Er war - wie auch später - stets bereit seiner Ehefrau das Fremdgehen zu verzeihen, „weil er sie bis auf den heutigen Tag liebt.“ - so das Gericht. Gerne stapelte die junge Frau auch in jener Zeit hoch und gab sich bei ihren Ausflügen ins Berliner Nachtleben als ungarische Gräfin, Medizinstudentin oder Malerin aus. Sie schrieb sogar Briefe an sich selbst, um ihr Lügengespinst aufrechtzuerhalten. Kusian ging viel aus und feierte in ihrer Wohnung ausufernde Feste, als ob es kein Morgen gäbe. Missgünstige und neugierige Nachbarn sprachen sogar von Orgien. Als Krankenschwester arbeitete sie dennoch bis zum Kriegsende im Robert-Koch-Krankenhaus, wie das inzwischen geschlossene ehemalige Krankenhaus Moabit in der NS-Zeit genannt wurde. In den 1920er-Jahren war es bis zur Entlassung der jüdischen Ärzte die wichtigste Klinik Berlins nach der Charité gewesen. Die neu eingesetzten, parteinahen Ärzte konnten mit ihren Vorgängern keineswegs mithalten, und die Sterblichkeitsrate im Krankenhaus soll dramatisch angestiegen sein. Nun erfolgten auch dort Zwangssterilisationen an Alkoholikern oder an „verhaltensauffälligen Frauen“. Elisabeth Kusian erlitt kurz vor Kriegsende eine Schussverletzung am Unterschenkel. Sie besorgte sich Morphium, um die Schmerzen zu lindern. Pervitin wiederum nahm sie ein, um sich aufzuputschen. Vor ihren Taten will sie sich jeweils etwas gespritzt haben, galt aber als schuldfähig. 1947 ließ sich Elisabeth Kusian dann doch scheiden, die Kinder brachte sie ins Heim. Sie selbst suchte wegen dauernden Geldmangels Kontakt mit der Unterwelt. Sie freundete sich mit einem Mitglied einer Einbrecherbande an, und als der in den Knast kam, wechselte sie die Seiten und verliebte sich in den West-Berliner Kriminalsekretär Kurt Muschan. Sie überhäufte ihren neuen Partner trotz ihrer ständigen Geldsorgen mit Geschenken. Ende 1949 wurde sie gekündigt, weil sie im Krankenhaus ständig Patienten anpumpte. Kusian wohnte in der Nähe des Bahnhofs Zoo in der Kantstraße 154a in Berlin-Charlottenburg. Dort gab es einen großen Schwarzmarkt, und man konnte nach der Währungsreform Geld tauschen. Elisabeth machte sich dies zunutze und fand ihr erstes Opfer. Mit ihrer vertrauenswürdigen Krankenschwesteruniform machte die durchaus ansehnliche Frau Eindruck auf den Schausteller Hermann Seidelmann aus Plauen, der im Herbst 1949 zur Beerdigung seiner Mutter nach Berlin gekommen war und am Bahnhof Zoo Geld zu tauschen versuchte. Er folgte Elisabeth ahnungslos in deren Wohnung, die ja ums Eck lag. Dort tauschte er Geld und trank mit ihr fröhlich plaudernd Kaffee. Vielleicht erhoffte er noch mehr von ihr, war aber sicherlich vollkommen arglos, als Elisabeth eine Wäscheleine holte, ihm diese von hinten über den Kopf warf und ihn damit erwürgte. Am nächsten Tag hatte er die Rückfahrt nach Plauen geplant. Im Urteil wurde die Tat so beschrieben: „Er setzte sich auf Stuhl oder Couch, und sie wechselten einen Betrag von etwa 100 DM-Ost gegen den entsprechenden Westbetrag. (..) Seidelmann (...) blätterte in illustrierten Zeitschriften, welche in dem Zimmer lagen. Die Angeklagte hatte inzwischen für beide Kaffee gekocht und dabei Pervitin eingenommen. Das Radio spielte laut. Etwas später holte sie eine kurze Wäscheleine, welche sie gewöhnlich in dem Schubfach ihrer Frisiertoilette aufbewahrte und welche sie bereits vorher mit einer Schlaufe versehen und in die richtige Länge zugeschnitten hatte. Sie trat von hinten an Seidelmann heran, warf ihm die Leine über den Kopf und zog von hinten fest zu. Seidelmann sprang auf, stieß den vor ihm stehenden Tisch von sich, fiel hin und riß im Fallen einen Stuhl und die Angeklagte mit zu Boden. Die Angeklagte hielt hierbei den Strick fest in der Hand, ohne locker zu lassen, der Mann war inzwischen ohnmächtig geworden und sie verknotete nunmehr die Leine fest. Er lag rücklings mit den Füßen zur Tür auf dem Fußboden. Sie setzte sich in einen Sessel und wartete in Ruhe seinen Tod ab.“ Danach durchsuchte sie seine Klamotten und nahm sein Geld an sich. Zu ihrem Motiv sagte Kusian später aus: „Plötzlich fiel mir ein, daß ich sehr viel Schulden habe und es kam so über mich, daß ich das Geld dieses Mannes gebrauchen könnte.“ Das konnte der Unterschied zwischen Mord und Totschlag sein. Ihre Aussagen waren aber mit Vorsicht zu genießen. Im Vorführbericht hieß es: „Aus sichergestellten Effekten (...) auch aus den Zeugenaussagen geht einwandfrei hervor, daß es sich bei der Besch[uldigten] um eine notorische Lügnerin handelt, die in angeberischer Weise gegenüber ihren Mitmenschen über ihre Person und Verhältnisse ein regelrechtes Lügengebäude aufgebaut hatte.“ Im Umgang mit Seidelmanns Leiche stellte sich die Krankenschwester dann gar nicht dumm an. Sie zerstückelte sie dank ihrer chirurgischen Kenntnisse und machte sich die geteilte Stadt, wie so viele andere Verbrecher, zunutze. Sie legte die Leichenteile nachts auf Brachgrundstücken und in Ruinen in beiden Teilen der Stadt ab. Zuerst verteilte sie mit ihrem Rucksack die linke Hand sowie zwei Unter- und einen Oberschenkel. Am 5. Dezember 1949 wurden in einem Ruinengrundstück in der Borsigstraße Leichenteile gefunden. Vier Tage später wurde ein männlicher Torso in Charlottenburg und eine Woche später der Kopf und die restlichen Gliedmaßen in einer Ruine in der Nähe des Stettiner Bahnhofs gefunden. Seidelmann konnte trotzdem umgehend identifiziert werden. Sein Bruder hatte ihn bereits als vermisst gemeldet. Der Täter konnte vorerst nicht ermittelt werden. Doch das Geld, dass Kusian von ihm erbeutet hatte, reichte nicht lange. Sie hatte erhebliche Schulden, die auch ihrer Morphiumsucht geschuldet waren. Weihnachten stand vor der Tür, und ihre neue große Liebe, Kriminalsekretär Kurt Muschan, wünschte sich eine Erika Reiseschreibmaschine. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 1949 lud sie die Verkäuferin Doris Merten in ihre Wohnung ein, die die Schreibmaschine vorbeibrachte und die vereinbarte Anzahlung von 50 DM abholen wollte. Kusian trank mit ihr harmlos plaudernd Kaffee dann erwürgte sie ihr Opfer von hinten mit der Wäscheleine. Das Opfer versteckte sie erst einmal unter ihrer Couch, weil ihr Liebhaber zu Besuch kommen wollte. Die Leiche zerstückelte sie erst in den nächsten Tagen und verteilte die Leichenteile am Anfang des neuen Jahres in der Stadt. Spielende Kinder fanden am 4. Januar 1950 gegen Mittag Körperteile in einer Ost-Berliner Hausruine in der Memhard- Ecke Prenzlauer Straße. Laut Ermittlungsakte handelte es sich „um eine 35–45 Jahre alt scheinende Frau von ca 1,60 bis 1,65 m Größe und untersetzter Statur. Kopf und Gliedmaßen waren vom Rumpf getrennt, sie lagen auf und neben demselben.“ Die Personalien des Opfers waren auch diesmal schnell ermittelt und auch die letzte Kundin der Verkäuferin – Elisabeth Kusian, die die Tat anfangs bestritt: Angeblich hatte Merten nur 15 Minuten bei ihr verbracht und dabei ihren Regenschirm vergessen. Komisch nur, dass bei Kusian später auch Kleidungsstücke von Merten aufgefunden wurden. Der Geschäftsinhaber und Mertens Schwester wussten von der Übergabe der Schreibmaschine. So musste Kusian erst im Westsektor aussagen und dann bei der Ost-Berliner Kripo, wo sie sich in Widersprüche verwickelte. Die Mordkommissionen arbeiteten ausnahmsweise zusammen, und man fand Spuren von beiden Opfern in ihrer Wohnung. Nach viertägiger Vernehmung gestand sie am 10. Januar 1950 überraschenderweise auch den Mord an Seidelmann. Zwei Tage später versuchte sie sich das Leben zu nehmen. Sie schnitt sich die Pulsadern auf, wurde aber gerettet. Ein Jahr später, im Februar 1951, wurde sie wieder nach West-Berlin überstellt und vor das Kriminalgericht Moabit gebracht wo sie nach sechs Verhandlungstagen wegen Mordes aus Habgier zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Glück, denn in Ost - Berlin galt noch die Todesstrafe und sie wäre möglicherweise unter der Guillotine gelandet. Sieben Jahre später starb die inzwischen 44-Jahre alte Frau in der Haft an Darmkrebs. Sie überlebte die letzte von vielen Operationen nicht, die sie seit nunmehr viereinhalb Jahren über sich hatte ergehen lassen müssen. Am 16. Juni 1958 verstarb sie um 11 Uhr 35 auf dem Operationstisch des Gefängniskrankenhauses. Ernst Reuß (vom Autor erschien 2022 das Buch „Endzeit und Neubeginn, Berliner Nachkriegsgeschichten“ im Metropol Verlag) Kommentare sind geschlossen.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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