Die Rosenburg war keine richtige Burg, sondern so hieß das Gebäude in dem ab 1950 das Bundesministerium der Justiz (BMJ) für die nächsten 23 Jahre untergebracht war.
Dementsprechend lautet der Titel des soeben im Beck Verlag erschienen Buches „Die Akte Rosenburg“. In ihm werden die Erkenntnisse der aus Juristen und Historikern bestehenden „Unabhängigen Wissenschaftlichen Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ publiziert. Entstanden ist eine fast 600-seitige, akribische Aufarbeitung der Versäumnisse der Nachkriegsjustiz in der Bundesrepublik Deutschland. Die 2012 vom Justizministerium eingesetzte Kommission kommt dabei zur Ansicht, dass „die Abwiegelung berechtigter Vorwürfe, das Bestreiten eigener Versäumnisse und das fehlende Bewusstsein für Schuld und Verstrickung bei den maßlosen NS-Verbrechen (..) in der Bundesregierung und nicht zuletzt auch im Bundesjustizministerium (…) eine lange Tradition“ hatten. Die Autoren gehen der Frage nach warum die Gründungsväter des Bundesministeriums der Justiz Thomas Dehler und Walter Strauß so viele Nazis eingestellt haben, die sich dann gegenseitig mit „Persilscheinen“ rein wuschen. Beide kamen aus einem bürgerlich geprägten jüdischen Umfeld, waren in der NS-Zeit Repressionen unterworfen und hatten Angehörige im KZ verloren. Trotzdem schätzen sie Erfahrungen in der Nazi-Justiz offensichtlich höher ein, als eine standhafte rechtsstaatliche und antifaschistische Haltung. Auch heute noch ist das schwer nachzuvollziehen. Die Hälfte aller Beamten und Angestellten im Ministerium waren ehemalige Mitglieder der NSDAP. Bei den Leitenden Beamten des BMJ waren es gar 77 %. Die Autoren gehen vielen Lebensläufen von Richtern und Justizbeamten, die damals als unbelastet galten, nach. Sie entdecken stramme Nazis, die an Todesurteilen und anderen Verbrechen beteiligt gewesen waren und trotzdem Karriere im Bundesministerium der Justiz, am Bundesgerichtshof oder sogar am neu geschaffenen Bundesverfassungsgericht machten. Darunter für Juristen bekannte Namen wie Eduard Dreher. Es ist daher vollkommen nachzuvollziehen, dass die Kommission jetzt feststellt, dass der Bundesgerichtshof bei der Aufarbeitung von NS-Verbrechen und bei der Entschädigung von NS-Opfern versagt habe, der Geist der Nazizeit weiterhin bei der Kommunistenverfolgung oder der Strafbarkeit von Homosexuellen durchaus zum Vorschein kam. Das „gesunde Volksempfinden“ galt noch viele Jahrzehnte als ein anerkanntes juristisches Kriterium. Es entsprach der damals in der Bevölkerung sowie unter den Juristen, die die Entnazifizierung zum Teil als eine „Hexenjagd“ betrachteten, vorherrschenden Meinung, dass über die Vergangenheit Gras wachsen sollte. Kein Wunder, denn die meisten Deutschen waren mehr oder weniger an der Nazi-Herrschaft beteiligt. So vertrat die anfangs im Justizministerium angesiedelte „Zentrale Rechtschutzstelle“ Kriegsverbrecher, die im Ausland inhaftiert wurden und warnte die in Abwesenheit verurteilten Flüchtigen. Zuständig dafür war ein Alt-Nazi, der von der BMJ - Führung protegiert wurde. Das änderte sich erst dann ein wenig, nachdem 1957 in der DDR ein „Braunbuch“ veröffentlicht worden war, in dem die Richter „mit Blut an den Händen“ bloßgestellt wurden. Zwar wurde dies als kommunistische Propaganda abgetan und sozialdemokratische Studenten, die dazu eine Ausstellung machten, umgehend aus der SPD ausgeschlossen. Im Ausland fand das „Braunbuch“ jedoch durchaus Beachtung. Um außenpolitischen Schaden zu minimieren, wurde halbherzig auf die Enthüllungen reagiert. 149 belastete Richter gingen freiwillig in Pension, selbstverständlich bei Beibehaltung der vollen Bezüge. Außerdem wurde im Dezember 1958 die „Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg gegründet, in der Juristen unter Verzicht auf die „große Karriere“ jahrzehntelang gegen den Strom geschwommen sind. Feindseligkeiten von Politik, Justiz und Gesellschaft waren an der Tagesordnung und trafen diejenigen, die sich „erdreisteten“, NS-Verbrechen aufklären zu wollen. Bis 1958 gab es keinen Prozess vor einem deutschen Schwurgericht. Das ist angesichts der Tatsache, dass 13.000.000 Menschen ohne direkte Kriegshandlungen durch Deutsche umgebracht wurden - darunter als zahlenmäßig größte Opfergruppen: 6.000.000 Juden, 3.300.000 sowjetische Kriegsgefangene und 2.500.000 christlicher Polen - eine aus heutiger Sicht unfassbare Bilanz. Erstmals kam es 1958 zu einem größeren Prozess. Es war der eher durch zufällige Ermittlungen angeschobene „Ulmer Einsatzgruppenprozess“, in dem die Mörder aus den Einsatzkommandos selbstredend nur als „Werkzeuge des Führers“ angesehen und lediglich wegen „Beihilfe“ verurteilt wurden. Danach kam es – in Israel - zum Eichmann- und – in Frankfurt – zum Auschwitzprozess, was ausschließlich dem unvergessenen, aber damals heftig angefeindeten Fritz Bauer zu verdanken war, der sich im „feindlichen Ausland“ wähnte, wenn er sein Büro verließ. Ein bezeichnender Fauxpas unterlief 1968 dem Ministerium mit der ungewollten Verjährung von Naziverbrechen durch Verabschiedung des „Einführungsgesetzes zum Ordnungswidrigkeitengesetz“. Wegen des Fehlens eines Satzes in der Gesetzesvorlage, waren die Taten von Gehilfen beim Morden aus Rassenhass nun plötzlich rückwirkend, spätesten 15 Jahre nach Kriegsende, also am 9. Mai 1960, verjährt. Ob das ein perfider Plan eines Einzelnen oder ein Versehen war, konnten auch die Autoren nicht abschließend klären. Im Sinne des inzwischen SPD geführten Justizministerium war es jedenfalls nicht. Laut den Verfassern des Berichts deuten jedoch viele Indizien auf den Plan eines in Juristenkreisen wohlbekannten Mannes hin, der selbst von der Verjährung profitieren hätte können, da er im Dritten Reich selbst an Todesurteilen bei Bagatelldelikte beteiligt war. Zehntausende von inzwischen eingeleiteten Strafverfahren gegen NS-Täter wurden daraufhin eingestellt. Das ungeheure Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen trat dennoch immer deutlicher zu Tage und es kam immer klarer zum Vorschein, dass nicht nur Hitler, sondern sich auch etliche Angehörige aus Politik, Justiz und Militär tief in Schuld verstrickt hatten. Das war zuvor jahrzehntelang abgestritten worden. „Als das Bundesministerium der Justiz 1973 die Rosenburg verließ (…) hatte sich die ‚Bonner Republik‘ längst etabliert, das Zusammenwirken zwischen Bundestag, Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht hatte sich eingespielt, NS-belastetes Personal war auch im BMJ allein aus Altersgründen weitgehend ausgeschieden. Die Schatten der Vergangenheit existierten noch immer, wie die Diskussionen um Wiedergutmachung für die Opfer von Zwangsarbeit und NS-Unrechtsjustiz bewiesen Die Unterlassungen aus den Anfangsjahren der Bundesrepublik, als die ‚Schlussstrich‘-Mentalität und das Verlangen nach staatlicher Normalität zur Exkulpation vieler NS-Täter geführt hatten, trugen dazu ebenso bei wie die Tatsache, dass die ‚Aufarbeitung‘ der NS-Vergangenheit - nicht zuletzt in den verantwortlichen Ministerien und Behörden der Bundesrepublik - allzu lange auf sich warten ließ.“, resümieren die Autoren. Noch 1987 war der Korpsgeist unter den Juristen so groß, dass Ingo Müllers diese Haltung thematisierende Dissertation „Furchtbare Juristen“ zwar erhebliche Aufmerksamkeit erfuhr, die akademische Karriere des Autors danach aber nicht mehr so recht vorankam. Für einen in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit sozialisierten Juristen, der im Studium mit BGH-Urteilen „gefüttert“ wurde, die als „herrschende Meinung“ nahezu unumstößlich waren, ist es geradezu beängstigend zu lesen, wer zum Teil die Richter waren, die derartige Entscheidungen gefällt hatten. Für den kritischen Normalbürger ist es erschreckend, was immer noch alles zum Vorschein kommt. Ernst Reuß Görtemaker, Manfred / Safferling, Christoph, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016. Buch. 588 S., 29,95 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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