„Täter auf der Schulbank“ heißt das Buch des Historikers Sven Deppisch. Es ist eine Dissertation, die sich mit der Ausbildung der Polizei während der Nazizeit beschäftigt.
Nach Himmlers Ernennung zum Chef der Polizei entstanden 1936 zwei Polizeischulen für die Führungskräfte der Ordnungspolizei. Eine lag in Bayern, die andere in Berlin-Köpenick. Es waren NS-Kaderschmieden. Der Mythos von der „sauberen“ Polizei während des Dritten Reiches ist schon längst widerlegt, denn ohne die Polizei wäre der Holocaust nicht möglich gewesen. Zum Ende des Krieges und den bestehenden Personalnöten nahm man es auch mit den Aufnahmekriterien nicht mehr so genau, so dass ein Kommandeur bilanzierte, dass seine Anwärter zwar „motiviert und fleißig“ sind, ihr „geistiges Niveau“ aber eher „unzureichend“ sei. Die meisten Schüler waren Mitglieder der NSDAP und schlossen sich der SS an. Nach der Ausbildung zogen viele der frisch ausgebildeten Polizisten gen Osten und kamen als Massenmörder und Kriegsverbrecher wieder zurück. Viele Verbrechen von Polizeibataillonen sind inzwischen gut dokumentiert. Polizisten zerrten ihre Opfer aus den Häusern, trieben sie für die Ermordung zusammen oder steckten Häuser und Synagoge mit den darin befindlichen Menschen in Brand. Wer beispielsweise, wie beim 1941 stattfindenden Massaker in der Schlucht von Babi Jar bei Kiew, dabei half Kinder, Frauen und alte Menschen bestialisch zu ermorden war ein Verbrecher, denn dort wurden insgesamt 33 171 Menschen umgebracht. Die am Morden beteiligten Polizeibataillone haben die Opfer zum Erschießungsort getrieben, was nach dem Krieg als verjährte Beihilfe nicht mehr bestraft werden konnte. Vereinzelte Polizisten verfielen ob dem Erlebten dem Alkohol, wurden depressiv und brachten sich um. Aber das waren nur Ausnahmefälle, denn die meisten Polizisten führten nach Kriegsende ihre Karrieren einfach fort, ohne jemals angemessen bestraft worden zu sein. Nach dem Krieg vermittelten sie ihre Feindbilder an die nächste Generation von Gesetzeshütern. Wohlgemerkt, Deppisch beschäftigt sich mit der Ausbildung dieser Polizisten, weniger mit den realen Verbrechen, die sie begangen haben. Dies tut er sehr ausführlich, was das Lesen des Buches nicht einfach macht. Trotzdem ist es sicherlich verdienstvoll sich damit zu beschäftigen und die Rolle der Polizei zu beleuchten, denn jahrzehntelang galt die Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg als vollkommen unbescholten. Nur für Spezialisten! Ernst Reuß Sven Deppisch, Täter auf der Schulbank. Die Offiziersausbildung der Ordnungspolizei und der Holocaust, Marburg 2017, 672 Seiten, 39,95 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
Juni 2024
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