Atemlos berichtet der Autor und Journalist Uwe Wittstock über den ersten Monat nach Hitlers Machtübernahme. Chronologisch erzählt er Tag für Tag aus der Sicht berühmter Kunst- und Kulturschaffenden. Geradezu atemberaubend ist das Tempo, wie sich ihre Welt in diesem Monat veränderte. Schon im März 1933 sind viele der Protagonisten im Exil oder im Gefängnis.
Wittstocks Buch „Februar 33: Der Winter der Literatur“ beginnt mit dem letzten freien gesellschaftlichen Ereignis vor Hitlers Machtübernahme. Dort treffen sich am 28. Januar die Reichen, Mächtigen und Schönen beim Presseball. Das Kapitel ist mit „Der letzte Tanz der Republik“ betitelt und erzählt von zwei Ballgängern: Carl Zuckmayer und Ernst Udet. Zuckmayer schreibt später „Des Teufels General“ in Anlehnung an seinen Freund Udet, der sich den Nazis andiente. Noch ganz am Anfang des Monats schreibt der bereits nach Paris exilierte Joseph Roth an Stefan Zweig: „Inzwischen wird es Ihnen klar sein, daß wir großen Katastrophen zutreiben. Abgesehen von den privaten – unsere literarische und materielle Existenz ist ja vernichtet – führt das Ganze zum neuen Krieg. Ich gebe keinen Heller mehr für unser Leben. Es ist gelungen, die Barbarei regieren zu lassen. Machen Sie sich keine Illusionen. Die Hölle regiert.“ Viele bezweifelten zu diesem Zeitpunkt noch solche Dystopien, doch das Tempo der Veränderung war unglaublich. Thomas Mann schrieb in einem Grußwort: „Jeder Mensch von Gefühl und Verstand, auch jeder bessere Politiker, weiß, daß die Völker Europas heute nicht mehr einzeln und abgeschlossen für sich zu leben und zu gedeihen vermögen, sondern daß sie aufeinander angewiesen sind und eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Solcher Lebensnotwendigkeit irgendwelche völkische Natur-Romantik als Argument entgegenzustellen ist nichts als Quertreiberei.“ Trotzdem glaubte auch er noch lange Zeit, dass irgendwann wieder die Vernunft einkehren werde. Doch dem war nicht so. Es war bereits ziemlich gefährlich, derartige Gedanken öffentlich kund zu tun. Nazischlägertrupps trieben ihr Unwesen, gegen alles was nicht nazikonform war. Viele Journalisten, Verleger und Schriftsteller wurden zu diesem Zeitpunkt bereits überwacht und verfolgt. Wittstock schreibt: „Für die Zerstörung der Demokratie brauchten die Antidemokraten nicht länger als die Dauer eines guten Jahresurlaubs. Wer Ende Januar aus einem Rechtsstaat abreiste, kehrte vier Wochen später in eine Diktatur zurück.“ Wittstock zeigt was Bertolt Brecht, Joseph Roth, Alfred Döblin, Georg Benn, Thomas, Klaus, Heinrich, Erika Mann und andere erlebten. Er bleibt ganz dicht an den Kulturschaffenden dran, wobei erstaunlich enge Bindungen und Liebeleien zwischen den Protagonisten aus dem Kunst- und Kulturbetrieb zutage treten. Am Schluss des Buches wird der weitere Werdegang der Protagonisten beschrieben. Nicht alle überlebten. Mit kurzen Einschüben zur Infektionslage und zu politischen Morden, zeigt Wittstock Parallelen zur heutigen Zeit auf. Damals war die spanische Grippe durchaus noch virulent, politische Morde waren inzwischen an der Tagesordnung. Ein wunderbar erzähltes Buch, das anhand von persönlichen Schilderungen die Fragilität einer Demokratie und deren brutale Zerstörung unmittelbar erlebbar machen. Bleibt nur zu hoffen, dass das Erlebnis aufs Lesen beschränkt bleibt. Ernst Reuß Uwe Wittstock: „Februar 33: Der Winter der Literatur“, München 2021, 287 Seiten, 24 Euro. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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