„Auch außerhalb dieser drei Lager kam es zu Erschießungen. Im September 1941 und im Frühjahr 1942 sogar zu Massenerschießungen. 33 150 Juden hatten 1939 in Winniza gelebt, was immerhin 35,6% der Gesamtbevölkerung war. Als die Deutschen am 19. Juli 1941 die Stadt einnahmen waren noch 18 000 jüdische Bürger in der Stadt, der Rest war geflohen. Schätzungen gehen davon aus, dass am 19. September 1941 mehr als 10 000 Juden durch das 45. Reserve-Polizeibataillon erschossen wurden. Am 15 April 1942 wurden nochmal knapp 5 000 Juden kurz vor den Toren der Stadt Winniza umgebracht. Ungefähr 1 000 unabkömmliche Handwerker ließ man vorerst noch am Leben.
Rhodes beschreibt in seinem Buch „Die deutschen Mörder“ das zweite Massaker wie folgt: 'Schneider, Schuhmacher, Tischler, Bauhandwerker und alle anderen mit einer Arbeitserlaubnis der obersten Kategorie wurden nach links gewiesen und konnten in die kleinen Konzentrationslager neben ihren Werkstätten zurückkehren; die übrigen etwa 5ooo Menschen - Alte, Frauen und Kinder - wies man nach rechts. Anschließend wurden sie unter deutscher Aufsicht von den ukrainischen Hilfstruppen zu Fuß oder per Lastwagen zu der Gärtnerei gebracht, auf deren Gelände im Norden der Stadt sieben Monate zuvor bereits 1o ooo Menschen ermordet worden waren. In der Anlage klaffte eine große Grube; ein mit Brettern ausgelegter Pfad und ein lächelnder deutscher Offizier, der den Damen seine stützende Hand bot, sollten den Abstieg zum Grubenboden erleichtern. Am Grubenrand saß ein Ukrainer mit einem Maschinengewehr, rauchte eine Zigarette und ließ die Beine baumeln. In drei Metern Abstand von dieser langgestreckten großen Todesgrube hatten die Deutschen noch eine kleinere, quadratische Grube von vielleicht vier Metern Seitenlänge angelegt. Bei jedem Schub von Opfern, den sie zur großen Grube trieben, verlangten sie die Herausgabe der Kinder. Sie übernahmen die Kleinen, zerrten den Müttern die Babys aus den Armen, stießen, schlugen und brüllten die jammernden Mütter an - und erschlugen oder erschossen dann die Kinder an der kleinen Grube, während sie mit den Erwachsenen in der großen eine ‚Sardinenpackung‘ machten.' Direkt nach dem Krieg sollen gerade noch 74 Bürger jüdische Überlebende gezählt worden sein. Heute ist nur noch 1 % der Bevölkerung jüdischen Glaubens.“ (Ernst Reuß, Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg, S. 84) Beide Massenerschießungen fanden vor den Toren der Stadt statt. Dort waren zwei Gruben ausgehoben worden. Heute ist die Stadt gewachsen und die Stätten der Massenmorde befinden sich jetzt auf dem Gelände einer privaten Gärtnerei. Drei erst in jüngster Zeit von jüdischen Organisationen errichtete kleine Denkmäler weisen auf die Erschießungsorte hin; sonst gibt es nichts. Da die Denkmäler sich auf einem Privatgelände befinden, ist der Zugang nicht immer gewährleistet. Die Massaker sind weitestgehend vergessen. Eines der Denkmäler erinnert an die ermordeten Kinder, die ihren Müttern weggenommen und am Rand der einen Grube ermordet worden waren. Ernst Reuß Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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