In Erinnerung an die Bücherverbrennungen im Mai 1933 wählte das Moses Mendelssohn Zentrum in Potsdam 300 Bücher von 268 Autoren aus, die als „Bibliothek verbrannter Bücher“ herausgegeben werden sollen. Neben bekannten Schriftstellern enthält diese Neuedition auch solche Autoren, die heute mehr oder weniger in Vergessenheit geraten sind. Ein sicherlich lobenswertes Unterfangen.
Anlässlich des 73. Gedenktages wurde als erster Band das von den Nazis verbrannte Werk „Staat, Recht und Freiheit“ von Hugo Preuß neu aufgelegt. Der 1860 in Berlin geborene und 1925 dort verstorbene, heute vielfach vergessene deutsche Politiker und Jurist wird als Vater der Weimarer Verfassung angesehen. Der Sohn eines jüdischen Kaufmanns und anerkannte Demokrat, der von Anfang an dem sozialen Gedanken gegenüber aufgeschlossen war, galt als ausgewiesener Kenner der juristischen Materie sowie der politische Verhältnisse. Deshalb wurde er nach der Novemberrevolution 1918 von Friedrich Ebert mit dem Entwurf der neuen Verfassung beauftragt. Danach brachte er es für kurze Zeit zum ersten Reichsinnenminister der Weimarer Republik. Zuvor hatte er sich wissenschaftlich und kommunalpolitisch bereits viele Jahre in Berlin betätigt, ohne besondere Außenwirkung zu entfalten. Seine Religion und seine liberale Grundhaltung waren für die große politische Bühne eher als Hindernis anzusehen. Die Aufsatzsammlung „Staat, Recht und Freiheit“ erschien 1926 posthum mit einer Einführung seines Parteigenossen und späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss, dessen Buch „Hitlers Weg“ ebenfalls verbrannt wurde. Heuss bemerkte in seinem Vorwort: „Preuß stand Jahre, stand Jahrzehnte am Ufer, auf den Ruf der Schiffsleute wartend, dass er ihnen helfe, das Schicksal des Staates zu steuern. Der Ruf kam in einer Stunde, die er nicht als Erfüllung seiner Sehnsucht nach staatspolitischen Wirken begrüßen konnte: das Schiff war leck, seine Mannschaft verwirrt und der Untergang schien schier unabwendbar. Nun kam es auf den Mut und die Bewährung an.“ Das Buch enthält einige verdienstvolle Aufsätze zur Entstehung der Weimarer Verfassung, wodurch sich dem Leser das Zeitgeschehen glänzend erschließt. Der erste unter Leitung von Preuß ausgearbeitete Entwurf war von seinen Ideen massiv geprägt, musste aber noch dreimal umgearbeitet werden. Aber nicht nur dazu schrieb Preuß, denn er betätigte sich schon im ausgehenden 19. Jahrhundert als beständiger Mahner, Warner und Kommentator des politischen Zeitgeschehens. Die Sammlung seiner Texte beginnt im Jahre 1885 und endet kurz vor seinem Tod. Sowohl vor, als auch im und selbstverständlich nach dem ersten Weltkrieg mischte sich Preuß ein. Als Professor an der Handelshochschule in Berlin beschäftigte sich Preuß in zahlreichen Schriften mit dem Verfassungsrecht und Fragen der kommunalen Selbstverwaltung, war aber immer zugleich auch Politiker und propagierte liberaldemokratisches Gedankengut. Von der preußischen Verwaltungsreform, über „die Sozialdemokratie und der Parlamentarismus“, zur „Bedeutung der demokratischen Republik für den sozialen Gedanken“ reicht die Palette seiner geistigen Arbeit in diesem Sammelwerk. Nach einem Besuch der Verlagsdruckerei des „Sozialdemokrat“ im Jahre 1888 in Hottingen-Zürich, von wo aus die Zeitung illegal nach Deutschland geschmuggelt wurde, kommentierte er kritisch die Sozialistengesetze. In seinem Artikel „Volksstaat oder verkehrter Obrigkeitsstaat“, warnte er zum Ende des Ersten Weltkriegs eindringlich vor der drohenden Gefahr der Errichtung einer Diktatur des Proletariats und appellierte an das Bürgertum, sich „auf den Boden der vollzogenen Tatsachen“ zu stellen und am Aufbau der Republik mitzuwirken. Später entlarvte er, bei der als „undeutsch“ gebrandmarkte Weimarer Verfassung, die antisemitischen Vorurteile der Brandmarker. Spöttelnd, aber trotzdem ernsthaft, kommentiert er den entstehenden Parlamentarismus und geißelt dabei immer wieder den stark verbreiteten Antisemitismus. Trotz der erst 1871 ratifizierten formellen Gleichstellung der Bürger jüdischen Glaubens, kam es noch zu erheblichen Diskriminierungen. Für den historisch und politisch interessierten Leser sicherlich ein interessantes Werk und ein aufschlussreicher Einblick in die Entstehung des Parlamentarismus und unserer Demokratie. Ernst Reuß Hugo Preuß, Staat, Recht und Freiheit: Aus 40 Jahren deutscher Politik und Geschichte. Mit einer Einleitung von Theodor Heuss. (Bibliothek Verbrannter Bücher), 2006 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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