Nach fünfzehn Monaten ist die Koalition aus der „Lega Nord“ Matteo Salvinis und der Fünf-Sterne-Bewegung 2019 zerbrochen. Der Putinfreund Salvini wollte Neuwahlen, um nach der ganzen Macht zu greifen. Dass das eine Fehlkalkulation war, hat sich nach der Bildung einer neuen Koalition, bestehend aus Fünf-Sterne und Sozialdemokraten, herausgestellt. Am 25. September 2022 gab es jedoch schon wieder Wahlen, Salvini gehört zu den Siegern und wird wohl wieder einer Regierung angehören.
Lorenz Gallmetzer, gebürtiger Südtiroler und langjähriger ORF Korrespondent, analysiert in seinem kurz vor dem Zerbrechen der Koalition geschriebenen Buch „Von Mussolini zu Salvini“ die neueste italienische Geschichte. Seine These von „Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus“ untermauert er mit einem Rundumschlag der politischen Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg. Er will deutlich machen, dass der Aufstieg der radikalen Rechten zur stärksten Kraft in einem der wichtigsten Staaten der Eurozone mehr ist als eine der gewohnten italienischen Regierungskrisen. In seinem Buch geht es um mehr als um Salvini. Salvini forderte einst die Schaffung eigener, „nur für Mailänder reservierter Waggons in der U-Bahn und Sitzplätze in den Bussen. Die Kritiker derartiger Vorkommnisse quittierte Salvini mit verächtlichem Gegenangriff – alles nur Geschrei linker Gutmenschen.“, schreibt Gallmetzer. Salvini hatte früher auch kein Problem damit, gegen Süditaliener zu hetzen. Nun vertritt er auch sie und entwirft neue Feindbilder. Geschickt gelingt ihm „die propagandistische Vermengung von Migration, Kriminalität, Mafia und Drogenhandel, Gewalt gegen Frauen und ‚anpassungsunwilligen Roma‘“. Inzwischen führt er für alle Italiener einen Kreuzzug gegen das Böse und erklärte sich zum Beschützer des kleinen Mannes. Er plädierte jetzt für die Trennung von Italienern und Einwanderern in Zugabteilen. Während er früher „Padanien“, also die eher nördlich gelegen Regionen, vom „römischen“ Südteil abspalten wollte, will er nun Italien aus der EU abspalten. Ein Drittel der Italiener halten die Migration für das größte Problem des Landes. Die Zahl der in Italien befindlichen Ausländer wird oft auf ein Viertel der Bevölkerung geschätzt; tatsächlich sind es lediglich sieben Prozent, der zweitniedrigste Anteil in ganz Westeuropa. Trotzdem sind Ablehnung bis hin zu Feindseligkeit gegenüber Migranten in der italienischen Bevölkerung so weit verbreitet wie in kaum einem anderen westlichen EU-Land. Und das, obwohl fast jede Familie einen mehr oder weniger nahen Verwandten mit Migrationsgeschichte hat! Für die Ablehnung gibt es laut Gallmetzer auch Gründe. Mit den Flüchtlingsströmen wurde Italien lange Zeit alleine gelassen. Außerdem sei Italien praktisch das einzige europäische Land, das sich von der Finanzkrise 2008 nicht erholt habe. Besonders im Süden herrscht große Arbeitslosigkeit. „Matteo Salvini brachte die Zuspitzung der Migrationskrise spürbaren Aufwind“. Nun rückte „die Rettung Italiens vor den ‚anstürmenden Migranten‘ und die Warnung, Europa könnte zu ‚Eurabien‘ werden, ins Zentrum seiner Reden und Propaganda- Slogans.“, schreibt der Autor. Für die Süditaliener begann die „Flüchtlingskrise“ schon nach dem Fall der Berliner Mauer. Seit jener Zeit wurde Italien zum Zielland von Hunderttausenden Migranten – vom Balkan, aus dem Nahen Osten und vor allem aus Afrika. „In den kleinen und großen Häfen des Südens wurden die Küstenwache, die Fischer mit ihren Booten und die Bevölkerung unfreiwillig zu Dauer-Seenotrettern und zugleich zum schwer zu ertragenden Bestattungsdienst für die vielen Ertrunkenen. Das restliche Europa schaute weg oder kritisierte Italien gar, weil es die Migranten nicht daran hinderte, nach Norden weiterzuziehen.“ Ob Agitation und Mobilisierung von orientierungslosen und verängstigten Italienern, zeitgleich mit Nationalismus und Hetze gegen Minderheiten schon als neuer Faschismus zu werten ist, lässt der Autor offen. Er legt sich nicht fest, lässt aber andere sprechen, um die Debatte darüber darzustellen. Dasselbe Prinzip wendet er an um darzulegen, was ein Wahlsieg Salvinis bedeuten würde und meint: „Die großen Reformen zur Bekämpfung der Bürokratie und der Korruption, zur Sanierung der maroden Infrastruktur, zur Modernisierung des Landes sind jedenfalls nicht in Sicht.“ Ernst Reuß Lorenz Gallmetzer, Von Mussolini zu Salvini, Italien als Vorreiter des modernen Nationalpopulismus, 192 Seiten, Kremayr & Scheriau, Wien 2019, 22,00 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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