„Gauland: Die Rache des alten Mannes“ heißt das Buch des mehrfach ausgezeichneten Reporters Olaf Sundermeyer über das Aushängeschild der AfD. Anders als der Titel vermuten lässt ist es keine Abrechnung mit einem alten, unbelehrbaren Mann, sondern eine durchaus differenzierte Analyse des AfD Politikers und ehemaligen Strippenziehers der hessischen CDU, der 1996 sogar Protagonist in einem Schlüsselroman von Martin Walser wurde. Sundermeyer hat sich häufiger mit Gauland unterhalten und für das Buch auch mit alten und neuen Weggefährten gesprochen. Einige haben mit ihm gebrochen, andere versuchen seine Beweggründe zu interpretieren. Richtig nachvollziehen kann sein Verhalten kaum jemand, nicht mal seine eigene Tochter.
Erstaunlicherweise galt Gauland früher als Wegbereiter von Schwarz-Grün. Daniel Cohn-Bendit, der ihn aus dieser Zeit kennt, meint: „Wenn ich seine Strategie aber richtig interpretiere, will er genau das, was Fischer erreicht hat“, denn der habe erreicht, dass die übrigen Parteien das Kernthema Ökologie übernommen haben. Die Schaffung des Amtes eines Bundesheimatministers, der die Forderungen der AfD in der Asyl- und Flüchtlingspolitik in großen Teilen übernimmt, spricht möglicherweise dafür, dass Gaulands Kalkül durchaus aufgegangen ist. Der 1941 in Chemnitz geborene Alexander Gauland, ging noch vor Mauerbau in den Westen um Jura studieren und promovieren zu können. Er machte, obwohl er an Depressionen litt, im öffentlichen Dienst Karriere. Danach arbeitete er für den CDU-Politiker Walter Wallmann, zunächst als Büroleiter ins Rathaus von Frankfurt am Main, dann als Chef der hessischen Staatskanzlei. Nach der Widervereinigung gab es keine Verwendung mehr für ihn, Kohl hielt nicht viel von Gauland und er übernahm die Herausgeberschaft der Regionalzeitung „Märkische Allgemeine“ in Potsdam. Ein Versorgungspöstchen? Immerhin blieb er mehr als ein Jahrzehnt dabei und fand dort seine neue Lebensgefährtin. Mit seiner Ehefrau blieb er weiterhin verheiratet. Sein Weg zur AfD begann mit der politischen Enttäuschung über Helmut Kohl und Angela Merkel. Der Autor sieht einen alten, nicht mehr sonderlich gesunden Menschen, der nur knapp einen Herzinfarkt überlebte und zu viel Wein trinkt. Wohl im Gegensatz zu seinem Fußvolk beginnt er den Tag genüsslich mit der Lektüre von „FAZ“, „Welt“ und „Tagesspiegel“, trotzdem heizt er bei Kundgebungen das Publikum ein, bis die Menge „Lügenpresse“ skandiert. Gauland sei kein Antisemit, er dulde und schütze jedoch Neonazis und Antisemiten in seiner neuen Partei. Er sei daher kein Konservativer mehr, der bewahren wolle, sondern ein Zerstörer mit dem Motto „Nach mir die Sintflut“. Laut Sundermeyer sei er auf einem „Egotrip“. Aus Neid, weil er nicht die Karriere machte, die ihm seiner Ansicht nach zustand? Oder weil er eben ein Opportunist und Zyniker ist? Beides könnte laut Sundermeyer die Triebfeder seines Handelns sein. Gauland ginge es jedenfalls schon lange nicht mehr um die Zukunft des Landes oder die seiner ehemaligen Partei CDU. Er schreibt: „Gauland und seine Bewegungspartei wollen das Bestehende zerstören, um Platz zu schaffen für eine andere Idee von Deutschland – eine nationalistische, auf Abgrenzung basierende und in Teilen völkische Idee. Das doppelt Zynische daran ist, dass Gauland selbst an diese Idee nicht glaubt, sondern sie ihm nur Mittel zum Zweck ist.“ Ernst Reuß Sundermeyer, Olaf, Gauland, DIE RACHE DES ALTEN MANNES, 2. Auflage, C.H.Beck 2018, 176 S., 14,95 € Kommentare sind geschlossen.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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