Simon Winder ist kein professioneller Historiker, aber Cheflektor beim englischen Penguin Verlag mit einer flotten Schreibe. Für sein frisch auf Deutsch übersetztes Buch „Herzland“ sammelte er unterhaltsam amüsantes Material aus dem Herzen Europas, aber auch persönliche Anekdoten.
Winder lässt auf seinen Reisen „Lotharingien“ wieder auferstehen, ein mittelalterliches Nachfolgekönigreich des karolingischen Riesenreiches. Er reist kreuz und quer durch das untergegangene Reich. Dabei kommt er an tristen Vororten vorbei und entdeckt in vergessenen Provinzmuseen Abseitiges und Bizarres. Karl der Große, ist der Ausgangspunkt für Winders Geschichte. Die Aufteilung seines Fränkischen Reichs ging auf den Erbfolgestreit zurück. Seine Enkel „Karl der Kahle“ und „Ludwig der Deutsche“ erhielten den Osten und den Westen des riesigen Frankenreiches. Die einzelnen Teile entwickelten im Laufe der Zeit unterschiedliche Sitten, Bräuche und Sprachen. Später sprach man daher von einem West- und Ostfränkischen Reich. Lothar I. behielt das Mittelteil - Lotharingien („das, was Lothar gehört“). Es reichte von Friesland bis nach Rom, was er wiederum unter seinen drei Söhnen aufteilte. Ludwig II. erbte Italien, Karl erhielt die Provence und Lothar II. erhielt den Rest - ein Mischmasch, der als Lotharingien bekannt wurde. Im Jahre 869, als Lothar II. ohne Nachkommen starb, teilten seine mächtigen Onkel im Osten und Westen das Reich auf. Mit der erneuten Teilung kann man schon Frankreich und Deutschland erkennen. Winders immer tiefer gehenden historischen und persönlichen Exkurse, lassen - bei den vielen Namen und Anekdoten - nur schwer eine rote Linie erkennen. Auch wegen der riesigen Menge seines Sekundärwissens übertreibt es Winder mitunter mit seiner Detailverliebtheit. Sein Buch ist eine Synthese aus mehr als tausend Jahren europäischer Geschichte. Dynastische Drehungen und Wendungen sind oft nur schwer nachzuvollziehen. Eine Chronologie und einige Stammbäume wären daher durchaus nützlich gewesen. Es ist eine Aufeinanderfolge von Kriegen und Auseinandersetzungen, meist unter Verwandten. Die heftigsten Verwerfungen gab es schließlich vor nicht allzulanger Zeit im 20. Jahrhundert, nicht nur in diesem Teil der Welt. Winders schreibt: „Wir alle erschauern beim Gedanken an die Mongoleneinfälle, dabei haben wir selbst ganze Kontinente erobert, einen Großteil ihrer Einwohner umgebracht und die Gebiete anschließend vollständig neu besiedelt, und zwar in einem Ausmaß, von dem die Mongolen nur träumen konnten.“ Damit hat er durchaus recht. Ernst Reuß Simon Winder Herzland: Eine Reise durch Europas historische Mitte zwischen Frankreich und Deutschland, Übersetzung Nathalie Lemmens, Siedler Verlag, München 2020, 560 Seiten 评论已被关闭。
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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