Liest man das anschaulich und spannend geschriebene Buch „Kriegspilger“ von Peter Frankopan, einem profilierten englischen Historiker, der unter anderem in Harvard, Cambridge, Yale und Princeton gelehrt hat, fühlt man sich in die von Kritikern hochgelobte und kommerziell äußerst erfolgreiche Fernsehserie „Game of Thrones“ hineinversetzt. Es geht um Intrigen, Verrat, Macht, Besitz, Gewalt, Grausamkeit, Brutalität und religiöse Eiferei. Im Gegensatz zur TV-Serie basiert das Buch auf reale Geschehnisse. Es handelt vom ersten Kreuzzug im Jahr 1096 und dessen Hintergründe.
Der inzwischen heiliggesprochene Papst Urban II hatte am 27. November 1095 bei einer Synode in Clermont zum Kreuzzug aufgerufen, um das Christentum und vor allem Jerusalem zu befreien. Muslime, „ein fremdes Volk, ein ganz gottfernes Volk“ trieben dort ihr Unwesen predigte der Papst und beschrieb anschaulich die Gräueltaten, die im Osten von ihnen begangen worden sein sollen. Seine Rede ist nicht wortwörtlich überliefert, soll aber so oder so ähnlich gelautet haben: „Sie beflecken die Altäre mit ihren Abscheulichkeiten und stürzen sie um; sie beschneiden die Christen und gießen das Blut der Beschneidung auf die Altäre oder in die Taufbecken. Denen, die sie schändlich misshandeln und töten wollen, schlitzen sie den Bauch auf, ziehen den Anfang der Gedärme heraus, binden ihn an einen Pfahl und treiben sie mit Geißelhieben so lange herum, bis die Eingeweide ganz herausgezogen sind und sie am Boden zusammenbrechen. Sie binden manche an Pfähle und erschießen sie mit Pfeilen. Sie ziehen manchen den Hals lang, gehen mit bloßem Schwert auf sie los und versuchen, ob sie sie mit einem Streich köpfen können. Was soll ich von der ruchlosen Schändung der Frauen sagen? Davon reden ist schlechter als schweigen.“ Die Erlösungsverheißung des Papstes, der seinen Rittern versicherte, dass jemand der auf dem Kreuzzug stirbt „ganz gewiss Nachsicht für seine Sünde erfahren wird und am ewigen Leben teilhaben wird“, erinnern an heutige Ereignisse, auch wenn damals nicht von Jungfrauen die Rede war. Frankopan schreibt: „Da das Interesse an Jerusalem Ende des 11. Jahrhunderts ein fast schon manisches Ausmaß angenommen hatte, gingen Berichte über die Gefahr für die Christen und das Heilige Land trefflich einher mit der wachsenden Angst vor der bevorstehenden Apokalypse. Überflutungen, Hungersnöte, Meteoriteneinschläge und Sonnenfinsternisse schienen allesamt auf die einzig plausible Schlussfolgerung hinzudeuten, dass das Ende der Welt nahe sei.“ Anders als in den vielen eurozentristischen Berichten, Erzählungen und Rittersagen, rückt Frankopan jedoch nicht den Papst und seine Kreuritter ins Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern Alexios, den Kaiser des Byzantinischen Reiches. Dieser werde meist falsch dargestellt, habe aber mit seinem Hilfegesuch an den Papst die „Büchse der Pandora“ erst geöffnet. Alexios sei, wenn auch ungewollt, der eigentliche Initiator des Kreuzzuges gewesen, und nicht, wie gemeinhin angenommen, der römische Papst. Dabei hatten sowohl der Papst, als auch der byzantinische Kaiser vor allem eigene Machtinteressen im Blick. Urban hatte den Gegenpapst Clemens III zu fürchten und hätte gerne die orthodoxen Christen wieder mit der römisch-katholischen Christenschar vereint. Alexios wollte seine Macht gegen die Feinde im Inneren und gegen die Seldschuken, einer muslimisch-türkischen Fürstendynastie, festigen. Alexios und Urban spielten ein riskantes Spiel, denn ihre Hetze fiel auf fruchtbaren Boden. Beide hatten wenig Freude an den Exzessen der Kreuzritter, die massenhaft in Konstantinopel einfielen. Anders als von Alexios geplant kamen selbständige Ritterheere und keine leichter zu kontrollierende Söldner. Bis zu 80 000 Mann sollen es gewesen sein. Obwohl der Papst den Beginn des Kreuzzugs für den 15. August 1096 terminiert hatte, war zuvor schon eine Armee von Kleinbauern und niederem Adel ausgezogen um Nichtchristen das Fürchten zu lehren. Da der Papst Ablass und Immunität versprochen hatte, mischten sich all diejenigen darunter, die nichts mehr zu verlieren hatten. Unter ihnen auch tausende als Kämpfer unausgebildete Männer, Frauen und Kinder. Ein charismatischer Mönch namens Peter der Einsiedler war der geistliche Führer der Bewegung. Der stets barfüßige Peter ritt auf einem Esel durch das Rheinland und verbreitete Schreckensgeschichten über Andersgläubige. Auf dem Weg nach Jerusalem wurden daher auch gleich Juden gemeuchelt, vor allem im Rheinland. Jerusalem erreichten sie nicht. Die meisten wurden vorher schon von Türken getötet und ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft. Die wenigen Überlebenden wurden von Alexios nach Konstantinopel zurückgeführt, entwaffnet und in einem Stadtviertel von Konstantinopel einquartiert, wo sie auf die Ankunft des Hauptheeres des Ersten Kreuzzugs warteten, das auf unterschiedlichen Wegen dort eintraf und dem sie sich dann anschlossen. Nach dem Zwischenaufenthalt in Konstantinopel zogen sie schließlich im Frühjahr 1097 zusammen los um Jerusalem zu befreien. Die Kämpfe unterwegs, aber auch Krankheiten und Seuchen, forderten einen hohen Blutzoll. Dennoch stand der arg dezimierte Rest im Juni 1099 vor den Mauern Jerusalems. Es soll nur noch ein Drittel der Kreuzzügler übriggeblieben sein. Dieser heruntergekommene Haufen war nun wild entschlossen Jerusalem zu nehmen, was ihnen wider Erwarten am 15. Juli 1099 auch gelang. Für die Ritter des Ersten Kreuzzugs war die Eroberung Jerusalems der Höhepunkt. Das nachfolgende Blutbad soll selbst die kaltblütigsten Augenzeugen erschüttert haben. Nichtsdestotrotz wurden die nach Europa zurückkehrenden Ritter gefeiert und Heldenepen geschrieben. Der Kreuzritter galt als stattlich, tapfer, abenteuerlustig, selbstlos und war auf dem adligen Heiratsmarkt sehr begehrt. Einer von ihnen sammelt nun Truppen um Konstantinopel einzunehmen und Alexios abzusetzen, dem man Verrat vorwarf, scheiterte aber kläglich. Aber auch das war noch lange nicht das Ende der Geschichte. Rückeroberung und weitere Kreuzzüge folgten, was viele weitere anregende und lehrreiche Bücher von Peter Frankopan verspricht. Papst Urban II erreichte die Meldung von der Einnahme der Stadt nicht mehr, da er am 29. Juli 1099 starb. Für Kaiser Alexios war der Kreuzzug weitaus erfolgreicher, denn die Kreuzritter hatten für Byzanz viele wichtige Gebiete zurückzuerobern. Er blieb bis zu seinen Tod als 70-jähriger im Jahre 1118 Kaiser von Byzanz. Frankopan resümiert zum Schluss: „Der Hilferuf aus dem Osten sollte die mittelalterliche Welt neu gestalten, indem er den geographischen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Horizont Europas drastisch erweiterte. Nach über neunhundert Jahren im Schatten sollte Alexios auf die Bühne der Geschichte des Ersten Kreuzzugs zurückkehren.“ Ernst Reuß Peter Frankopan, Kriegspilger, Der erste Kreuzzug, aus dem Englischen von Norbert Juraschitz, Berlin 2017, 392 Seiten, 26,95 €. Comments are closed.
|
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
|