Der Herausgeber Wieland Giebel, der am Anhalter Bahnhof das Berlin Story Museum im alten Luftschutzbunker unterhält und für seine sehenswerte Ausstellung „Hitler – wie konnte es geschehen“ Zeitdokumente ausgräbt und auch in Buchform veröffentlicht, hat nun mit „Ich traf Hitler“, ein weiteres dieser Zeitdokumente veröffentlicht. Es enthält 45 Interviews mit Menschen, die mit Hitler in Kontakt standen. Die Interviews wurden fast 50 Jahre nach Ende des Krieges geführt, von einem sich dafür in rechtsradikalen Kreisen bewegenden Medienhändler, der offenbar das Vertrauen der Interviewten besaß.
Es sind Köchinnen, Kammerdiener, Gauleiter, Generäle und andere Wegbegleiter, die meist „nicht die geringste Ahnung“ von den Verbrechen des Nationalsozialismus hatten, oft immer noch fasziniert sind von Adolf Hitler und ihn vereinzelt in Schutz nehmen. Mitunter wird naiv behauptet Hitler hätte von den Verbrechen des Naziregimes nichts gewusst. Ein SS-Mann, der spätere Mitinhaber der Henkell & Co Sektkellerei und Sprecher der Geschäftsleitung des Bankhauses Lampe behauptet noch 1997: „Hitler wollte sicher keinen Krieg, was sollte ihm ein Krieg bringen?“ Ein anderer SS- Mann behauptet noch 1990 „Dass behauptet wird, es seien Zivilisten wahllos erschossen worden, trifft uns ganz tief in unserem Ehrgefühl. Ich wie viele andere Kameraden haben unmöglich etwas getan, was gegen die Ehre eines anständigen deutschen Soldaten ging.“ Das Buch passt in die Reihe von schon früher erschienenen Büchern des Berlin Story Verlages. Beispielsweise zu „Warum ich Nazi wurde“, wo Besinnungsaufsätze von Hitlerfans aus der Vorkriegszeit abgedruckt sind, zum Werk „Hitler. Das Itinerar“ wo auf mehr als 2400 Seiten jeder einzelne Lebenstag Hitlers aufgezeichnet ist und zu „Hitler – Das letzte Jahr, Chronologie einer Apokalypse“ wo aufs Genaueste dessen letztes Lebensjahr nachgezeichnet wird. Warum sind die Menschen Nazis geworden? Was ging in ihren Köpfen vor? Warum sind sie Hitler hinterher gelaufen? Das sind die Fragen, die all diese Bücher thematisieren. „Ich traf Hitler“ macht deutlich, wie die Ideologie des Nationalsozialismus noch nach fünfzig Jahren wirkt. Die meisten Interviewten leugnen und verharmlosen immer noch die Taten des Dritten Reiches, auch wenn so viele Jahrzehnte vergangen sind und sie es eigentlich besser wissen müssten. Ein Wort des Bedauerns sucht man vergeblich im Buch. Das Buch wird abgerundet mit der These eines Geschichtsprofessors aus Aberdeen, der glaubt aus einem der Interviews herauslesen zu können, dass Hitlers Antisemitismus schon vor dem Ersten Weltkrieg ausgeprägt war. Noch dazu glaubt er, dass möglicherweise die verschmähte Liebe zu einem jüdischen Mädchen der Grund gewesen sein könnte. Eine sehr gewagte These, deren Beweiskraft aufgrund des Alters der Zeugin, ziemlich eingeschränkt ist. Noch dazu, dass sie sich weitestgehend auf die Erzählungen ihrer Eltern beruft. Die Interviewte war damals ein 8-Jähriges Kind und machte die Aussagen 80 Jahre später. Der Verleger schreibt: „Wir hoffen, dass das vorliegende Buch ein weiterer Mosaikstein dazu ist, zu verstehen, wie es zu dem totalitären NS-System, zu Krieg und Völkermord kommen konnte.“ Das ist zu hoffen. Dafür lohnt sich jedenfalls ein Besuch im Bunker mit der über mehrere Etagen gehenden eindrücklichen und ausführlichen Ausstellung. Wer der Ansicht ist, dies könne heute nicht mehr geschehen, sollte die Ausstellung anschauen oder die Hassmails lesen, die die Macher der Ausstellung bekommen haben und immer noch regelmäßig bekommen. Heute ist leider vieles wieder salonfähig geworden, an was angesichts unserer Geschichte eigentlich nicht mehr zu denken ist. Ernst Reuß Wieland Giebel (Herausgeber), Ich traf Hitler, Die Interviews von Karl Höffkes mit Zeitzeugen, Berlin Story Verlag, Berlin 2020, 570 Seiten, 39,95 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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