Der 1921 ermordete Politiker Matthias Erzberger ist relativ unbekannt geblieben. Die gerade im Berliner Links Verlag erschienene Biografie „Erzberger – Der gehasste Versöhner“ versucht das zu ändern.
Der aus kleinen Verhältnissen kommende Sohn eines schwäbischen Schneiders hatte als Reichstagsabgeordneter der katholischen Zentrumspartei einen sehr großen Anteil an der Geschichte Deutschlands am Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit seiner kleinbürgerlichen, katholischen Herkunft, war er in der Berliner Politik allerdings immer eher Außenseiter. Er profilierte sich aber schon kurz nach der Jahrtausendwende mit scharfer Kritik an der deutschen Kolonialpolitik. 1906, als er und Teile seiner Partei den Haushalt für die Kolonialpolitik ablehnten, kam es zur Reichstagsauflösung und zu Neuwahlen. Seine Partei war die zweitgrößte nach den Sozialdemokraten. Erzberger galt als unerschrocken, volksnah und medienwirksam. Populistisch trat er für die „kleinen Leute“ ein, wobei er antisemitische Stereotypen bediente und bei Kriegsbeginn in den lauten Chor der nationalistisch-militaristischen Hetze einstimmte. Später wurde er zum Kriegsgegner und beendete mit seiner Unterschrift unter den Waffenstillstandsvertrag den Ersten Weltkrieg. Damit zog er den Hass von rechen Hetzern auf sich. In der Weimarer Republik übernahm er das Finanzministerium. Er schuf innerhalb weniger Monate ein neues Steuer- und Finanzsystem und belastet größere Vermögen stärker. Auch kein Pluspunkt in gewissen Kreisen. Ein Attentat überlebte er, trat aber nach weiteren Anfeindungen zurück. Am 26. August 1921 wurde er bei einem Urlaubsspaziergang im Schwarzwald von zwei Mitgliedern eines Freikorps auf offener Straße ermordet. Beide Mörder wurden nach dem Zweiten Weltkrieg wegen „Totschlags“ zu 12 bzw. 15 Jahren verurteilt, aber 1952 schon wieder begnadigt. Einer von ihnen verstarb 1984 im 90. Lebensjahr. Der andere starb 1979 im Alter von knapp 86 Jahren. Der mutmaßliche Auftraggeber des Mordes war schon 1922 freigesprochen worden, machte in der Nazizeit Karriere und nahm sich Ende des Krieges aus Angst vor der Roten Armee das Leben. Die sonstigen geistigen Brandstifter, die mit jahrelanger Hetze den Boden für das Attentat bereiteten, wurden nie ernsthaft behelligt. Zwischen Januar 1919 und Juni 1922 wurden laut des Autors Benjamin Dürr von rechtsgerichteten Tätern 345 politische Morde begangen. Ernst Reuß Benjamin Dürr: „Erzberger – Der gehasste Versöhner. Biografie eines Weimarer Politikers“, Christoph Links Verlag, Berlin 2021, 312 Seiten, 25 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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