„Endlich wieder in der herbeigesehnten Heimat, wurden wir lange nicht beachtet und hatten Angst, auf unser Schicksal aufmerksam zu machen. Wir blieben unauffällig, arbeiteten bescheiden und bemühten uns, nichts zu erzählen und unsere Vergangenheit zu verheimlichen. Ob das weh tat? Ja das tat sehr weh. Längst nicht alle, selbst manche Freunde, haben nicht begriffen, dass unsere Gefangenschaft nicht selbst gewählt war.“
Das berichtet eine, von deutschen Okkupanten im Zweiten Weltkrieg verschleppte, inzwischen sehr betagte Frau, die – zusammen mit anderen - ihr Schicksal nun endlich zu Papier bringen konnte. Als Jugendliche waren sie alle ins „Reich“ verschleppt worden um dort Zwangsarbeit zu leisten, denn Hitlerdeutschland brauchte Arbeitssklaven um weiterhin Krieg führen zu können. Erst jetzt konnten die als Kinder und Jugendliche Verschleppten, mit dem rechteckigen Aufnäher OST versehenen Menschen, über ihr meist grausames Schicksal berichten, denn ein Kriegsgefangener galt nach stalinistischer Doktrin als Verräter. Gefangennahme wurde als Straftat bewertet, denn Propagandastellen hatten dazu aufgerufen, sich stattdessen das Leben zu nehmen. Alle sowjetischen Kriegsgefangenen standen unter einem generellen Kollaborationsverdacht, wurden nach Ende des Krieges in „Filtrationslagern“ verhört und in vielen Fällen erneut zu langjähriger Lagerhaft verurteilt. Die Caritas hat es nun ermöglicht, dass Lebenserinnerungen von als Kinder und Jugendliche verschleppten Russen ins Deutsche übersetzt wurden. Es handelt sich um ein in Russland im Jahre 2000 erschienenes Buch. Ausführlich wird darin berichtet, was ihnen von Deutschen in ihrer Heimat und nach ihrer Verschleppung nach Deutschland alles angetan wurde. Es sind traurige und zumeist vergessene Schicksale von Kindern, die unschuldig deportiert wurden und die auch nach Ende des Krieges in ihrer Heimat kein Gehör und keine Gerechtigkeit fanden. Das 124-seitige Buch leistet einen guten Beitrag um Licht ins Dunkel der Geschichte zu bringen, denn diese Lebenserinnerungen wurden viel zu lange in Ost und West verschämt verschwiegen. Schon deshalb kann man dieses nicht allzu dicke Buch lesen. Ernst Reuß Geraubte Kindheit, Russische Jugendliche in deutschen Arbeitslagern. Herausgegeben von Angelika Westphal und Ruth Keseberg-Alt, Berlin, 1. Aufl. Februar 2011; 124 S., 32 Abb., 7,00 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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