Nachdem seit Mai 1945 der noch von den Sowjets eingesetzte Magistrat – mit sechs kommunistischen Mitgliedern, je zwei Sozialdemokraten und Parteilosen sowie sieben dem bürgerlichen Lager zuzurechnenden Mitgliedern – die Stadt mitregierte, fand am 20. Oktober 1946 die erste Wahl seit dem 12. März 1933 statt. Es sollte zugleich die letzte Wahl für ganz Berlin bis zum 2. Dezember 1990 sein, an die bis zum Fall der Mauer an jedem runden Jubiläumstag durch Sondersitzungen des Westberliner Abgeordnetenhauses erinnert wurde. 2,3 Millionen Bürger waren wahlberechtigt, wovon aufgrund des Krieges 1,5 Millionen Frauen waren. Die Wahlbeteiligung lag bei 92,3 Prozent.
Anders als in der nur von den Sowjets verwalteten Besatzungszone hatte sich die SPD in Westberlin unter dem Schirm der Westalliierten der Verschmelzung von SPD und KPD erfolgreich widersetzen können. Am 31. März 1946 war in den Westsektoren eine – im Osten verbotene – Urabstimmung über die Vereinigung durchgeführt worden. Die ziemlich suggestiv gestellten Fragen lauteten: „Bist du für den sofortigen Zusammenschluß beider Arbeiterparteien?“ „Bist du für ein Bündnis beider Parteien, welche gemeinsame Arbeit sichert und Bruderkampf ausschließt?“ Liest man die Fragen, ist es eigentlich relativ einleuchtend, dass die zweite Variante eher Zustimmung fand als die erste. 82 Prozent der abstimmenden SPD-Mitglieder wandten sich daher gegen die Vereinigung mit der Kommunistischen Partei und nur 62 Prozent sprachen sich für eine Zusammenarbeit mit der KPD aus. Insgesamt war bei dieser ersten Wahl, aufgrund der von den Sowjets finanzierten aufwendigen Propaganda, ein Sieg der SED erwartet worden. Das war ein Irrtum. Anders als in der nur von den Sowjets verwalteten Besatzungszone siegte in Berlin die SPD. Die SPD erreichte 48,7 Prozent, die CDU 22,2 Prozent, die SED 19,8 Prozent und die LDP 9,3 Prozent. Von der SED-Landesleitung Berlin wurde – nach der Wahl – selbstverständlich eine ganz andere Einschätzung vorgenommen: „Unter dem lähmenden Druck der westlichen Besatzungsmächte kamen die Wahlen vom 20. Oktober 1946 zustande, die im Zeichen einer wüsten Hetze gegen die führende demokratische Kraft, die SED, standen. Dennoch ergaben die Wahlen eine eindeutige Mehrheit der SPD und SED. Eine fortschrittliche, demokratische, den Interessen der Berliner Bevölkerung dienende Politik wäre möglich gewesen, wenn die SPD-Führer sich zu einer solchen bereitgefunden hätten.“ Die 130-köpfige Stadtverordnetenversammlung konstituierte sich daraufhin am 26. November 1946. Der im Mai 1945 von den Sowjets eingesetzte Magistrat wurde nach der Wahl durch einen Allparteien-Magistrat abgelöst, in dem die SED nur noch drei der nun 19 Mitglieder stellte. Oberbürgermeister wurde Dr. Otto Ostrowski (SPD), der jedoch schon bald wegen innerparteilichen Streitigkeiten zurücktrat. Grund dafür war die Tatsache, dass er sich auf Gespräche mit der SED eingelassen hatte, was im „Kalten Krieg“ nicht gern gesehen wurde. Das Amt übernahm geschäftsführend Louise Schroeder (SPD), da der eigentlich von der Stadtverordnetenversammlung mit 89 von 108 abgegebenen Stimmen gewählte Nachfolger Ernst Reuter (SPD), der vorherige Verkehrsstadtrat, sein Amt infolge eines Vetos der Sowjets nicht antreten durfte. Reuter, der nach der Oktoberrevolution Lenins Beauftragter für die Wolgadeutschen und Stalins unmittelbarer Untergebener war, wurde 1921 Generalsekretär der KPD. Man schloss ihn aber bereits ein Jahr später aus der Partei aus, da er der Moskauer Parteilinie nicht folgte. Ein Abtrünniger als Oberbürgermeister von Berlin? Für die Sowjets undenkbar. Die Alliierten waren zu dieser Zeit schon so zerstritten, dass sie sich nicht mal über die Bekanntgabe der Nichtbestätigung einigen konnten. Das sowjetische Veto, durfte nicht als solches bekannt gegeben werden. Später äußerte sich Stadtkommandant Kotikow folgendermaßen: „Herr Reuter [...] wird nicht zugelassen werden. Diesen Posten kann nur eine Persönlichkeit bekleiden, die fähig ist, mit allen vier alliierten Besatzungsmächten zusammenzuarbeiten [...]. Reuter ist keine solche Persönlichkeit. Erstens hat es Reuter während seiner Anwesenheit in Berlin fertiggebracht, sich durch seine antisowjetischen verleumderischen Ausfälle zu empfehlen. Reuter ist einer der Initiatoren und Leiter der schmutzigen antisowjetischen Kampagne [...]. Zweitens ist die politische Vergangenheit Reuters recht dunkel und zweifelhaft.“ (Ausschnitt aus Ernst Reuß, Millionäre fahren nicht auf Fahrrädern, S. 130 ff.) Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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