Mordechai Strigler, der 1998 als 80-Jähriger in New York starb, war ein Schriftsteller, Journalist und Überlebender des Holocaust. Der beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Warschau ansässige Strigler wurde nach dem Einmarsch der Deutschen zur Zwangsarbeit in unterschiedliche Arbeitslager geschickt. Er überlebte alle 12 davon. Die Eltern und drei von sieben Schwestern wurden Opfer der Nazis.
Kurz nach seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald am 11. April 1945 begann er, seine Erfahrungen in literarischer Form zu verarbeiten. Es ist dem Herausgeber Frank Beer zu verdanken, dass diese Publikationen nun auf Deutsch erscheinen. Beer, der bereits andere, nie auf Deutsch erschienene Augenzeugenberichte aus den Vernichtungslagern für deutsche Leser zugänglich gemacht hat, widmet sich dankenswerterweise diesen historischen Schätzen, um sie dem Vergessen zu entreißen. Dem 2016 erschienenem Buch über Striglers Erfahrungen in Majdanek, lässt der Herausgeber nun das Buch „In den Fabriken des Todes“ folgen. Es ist Striglers Zeitzeugenbericht aus dem 140 km südlich von Warschau gelegenem Arbeitslager Skarzysko-Kamienna. Er beschreibt darin die grausamen Umstände, unter denen die jüdischen Gefangenen im Zwangsarbeiterlager der Hugo und Alfred Schneider AG (HASAG) Munition für den Krieg herstellen mussten. Die HASAG war ein in Leipzig ansässiges metallverarbeitendes deutsches Unternehmen, das auch als Rüstungskonzern vor allem nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion von großer Bedeutung war. Die Fabrik war Munitionshauptlieferant im Osten, mehr als 10 000 Menschen arbeiteten im Lager. Striglers Buch ist keine nüchterne Beschreibung des Alltags der jüdischen Häftlinge, sondern eine ausdrucksvolle Aufarbeitung des Erlebten. Neben der Sachverhaltsschilderung, mit der das Buch beginnt, versucht Strigler in einem belletristischen Teil die erlebten Grausamkeiten zu beschreiben. Die Arbeit war gesundheitsgefährdend und wurde von sadistischen Mördern überwacht. Arbeiter, die als nicht mehr arbeitsfähig erachtet wurden, wurden in den Wäldern der Umgebung erschossen. Über 20 000 jüdische Zwangsarbeiter fielen den Verhältnissen dort zum Opfer. Meist starben sie innerhalb von drei Monaten nach ihrer Ankunft, da die benutzten Säuren zu schweren Vergiftungen führten und für Juden keine Schutzkleidung vorgesehen war. 1945 wurden Tausende Häftlinge aus den HASAG-Werken auf Todesmärschen geschickt. 1948 wurden 25 Mitarbeiter der HASAG vor Gericht gestellt und verurteilt. Der Chef des Werkes konnte nach dem Krieg untertauchen und wurde nie gefasst. Nach Ende des Krieges begann man im Stammwerk Leipzig, Kochtöpfe, Milchkannen, Lampen und ähnliches zu produzieren. Der VEB Leuchtenbau Leipzig hatte die Rechte an der Firma HASAG, die erst 1974 gelöscht wurde. Strigler beschreibt mit bitterem Blick sowohl die Opfer als auch die Täter. Ganz besonders in den Vernichtungslagern galt:„Homo homini lupus“ – Der Mensch ist des Menschen ein Wolf. Nichts für zart besaitete Gemüter. „In den Fabriken des Todes" wird am 4. Juli 2017 um 19 Uhr in der Leipziger Gedenkstätte für Zwangsarbeit auf dem Gelände des ehemaligen HASAG-Stammwerkes der Öffentlichkeit vorgestellt. Ernst Reuß Mordechai Strigler (Hg. Frank Beer), In den Fabriken des Todes, Verloschene Lichter II. Ein früher Zeitzeugenbericht vom Arbeitslager Skarzysko-Kamienna. Aus dem Jiddischen von Sigrid Beisel, Deutsche Erstausgabe Juni 2017, 400 Seiten, Paperback, 29,80 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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