Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und jetzige Pfarrer Ulrich Kasparick hat ein kleines Buch geschrieben, in dem er mit sehr viel Empathie das wahre Schicksal einer jüdischen Familie im Dritten Reich beschreibt. Es handelt sich um die Familie Jacoby aus dem kleinen Dorf Hetzdorf in der Uckermark. Eine im Ort seit Langem ansässige Familie, an die sich kaum jemand mehr erinnert.
Der Dorfladen der Jacobys wurde „arisiert“, die Kinder durften nicht mehr mit Ariern in die Dorfschule gehen und zum Schluss wurde die ganze Familie ermordet: Eltern, Geschwister, Kinder und das gerade frisch geborene Enkelkind. Nach dem Krieg wollte es keiner gewesen sein und man vergaß die Familie. Ihr Geschäft wurde von den neuen Eigentümern noch bis 1983 weiterbetrieben. Das Buch entlarvt diejenigen, die angeblich nichts davon gewusst haben wollen. Kasparick gedenkt und ehrt mit diesem kleinen Buch, das wahrscheinlich nur viel zu wenige lesen werden, eine deutsche Familie jüdischen Glaubens. Er tut das auf eine sehr berührende Weise, und zeigt, wie es möglich wurde, dass so etwas geschehen konnte. Dass dies auch heute noch nicht gern gehört wird, zeigt die Tatsache, dass ihm vorgeworfen wird, „einen braunen Kübel auf das Dorf zu werfen“. 1934 war der Kriegsteilnehmer und Träger des Eisernen Kreuzes, der Ladeninhaber Paul Jacoby noch Schützenkönig im Dorf. Nur ein paar Jahre später wollten ihm Dorfbewohner das Haus abfackeln. Betrunkene Horden standen vor der Wohnung ihres ehemaligen Schützenkönigs. Juden waren nun nicht mehr wohlgelitten. Gerade diese Passage erinnert sehr an momentane Pogromstimmungen in vor allem ländlichen Gemeinden. Erschreckend, wie schnell sich die Stimmung hin zum Massenmord ändern kann. Der Titel des Buches bezeichnet den Stein, den Thea, die Tochter der Familie Jacoby, ihrer Freundin beim Abschied schenkte und die später in ihren Erinnerungen schrieb: „Meine beste Freundin war Thea Jakoby, eine Jüdin! Ich sehe uns noch am 1. Schultag Hand in Hand zur Schule gehen. Unsere Mütter schauten uns hinterher. Theas Eltern wohnten uns gegenüber. Sie hatten einen Kolonialwarenladen. Leider war unsere gemeinsame Schulzeit nur kurz. 1938 wurde der Laden mit Gewalt geschlossen! Onkel Paul, der Vater zunächst inhaftiert, das Haus beschlagnahmt. Es war ein furchtbares Geschehen, lebte diese Familie doch schon seit Jahrzehnten in unserem Dorf. Tagtäglich ging ich von klein auf zum Spielen zu Thea. (…) Später wurden alle im KZ vergast: Onkel Paul mit Tante Erna und seiner Schwester Rosa, die Kinder: Ruth, Herbert und Thea. Ruth war schon verheiratet, hatte ein Kind. Sie wurde sogar aus dem Krankenhaus geholt kurz nach der Entbindung.“ Ein ergreifendes, lebendiges und bewegendes Buch. Eine Mahnung für diejenigen, die meinen, das könnte nie mehr geschehen. Unbedingt lesenswert! Ernst Reuß Ulrich Kasparick, Theas Stein, 10 Kapitel über die Familie Jacoby, Eine Familiengeschichte aus der Uckermark, Milow 2015, broschiert, 106 Seiten 9,90 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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