Zoni Weisz ist inzwischen ein berühmter Mann in den Niederlanden. Ein vielfach ausgezeichneter Florist, der sowohl königliche Hochzeiten mit seiner Blumenkunst schmückt als auch den deutschen Bundestag. Doch das hätte ihm vor einigen Jahrzehnten wohl keiner vorhergesagt, denn er ist Sinto und hat den „Porajmos“ – so bezeichnen Sinti und Roma den Versuch ihr Volk auszulöschen – mit viel Glück überlebt.
Auch das Volk der Sinti überlebte den Versuch es auszurotten. Weisz selbst beschreibt das sehr poetisch und mit viel Pathos: „Mein Volk kam einst über die Berge und entlang mächtiger Flüsse aus Indien. Wir waren ein besonderes Volk. Wenn wir durch die trockene Steppe in eine Stadt gelangten, war das immer ein Fest. Das war auch gar nicht so erstaunlich, denn Musik und Tanz begleiteten uns auf all unseren Reisen. Unsere Vorfahren waren so virtuos, dass sie sogar in den Palästen der mächtigsten Maharadschas spielten. Seit Menschengedenken waren wir unterwegs, und selbst den reichsten Herrschern gelang es nicht, uns mit Gold und Steinhäusern an einen Ort zu binden. Die Wagen meiner Vorfahren zogen im Laufe der Jahrhunderte immer weiter nach Westen. Warum? Das weiß niemand, einfach weil wir nichts über unsere grandiose Geschichte zu Papier gebracht haben. Meine Vorfahren konnten nicht einmal lesen und schreiben. Ihre Sprache war die Musik, und die vom Vater an den Sohn überlieferten Erzählungen bildeten die Chroniken unseres Volkes.“ Sein Vater konnte ihm wenig überliefern, denn als Nazideutschland die Niederlande besetzte, wurden seine Eltern und Geschwister nach Auschwitz deportiert und ermordet. Er überlebt als einziger, durch Zufall und mithilfe eines wohlmeinenden Polizisten. Er ist damals sieben Jahre alt. Es ist ergreifend zu lesen, was an jenem verhängnisvollen Tag geschehen ist und beeindruckend, wie er im späteren Leben seine Chancen ergreift. Mindestens eine halbe Million Sinti und Roma aus allen Herren Länder wurden von den Deutschen umgebracht. Genau kann man das jedoch nicht beziffern, da „Zigeuner“ offiziell oft nicht registriert waren. Erst später versucht Weisz sein Trauma aufzuarbeiten und begann, über seine Erlebnisse öffentlich zu sprechen sowie für die Anerkennung des Völkermords und für die Gleichberechtigung der Sinti und Roma zu kämpfen. Am Holocaust Gedenktag 2007 sprach er in New York bei den Vereinten Nationen und 2011 auch im Deutschen Bundestag. Er empfindet eine gewisse Verwandtschaft mit den Juden, die auch ein Volk von „Außenseitern“ sind und nicht dem „irrwitzigen arischen Vorbild“ entsprechen. In seiner absolut lesenswerten Autobiographie erzählt er von seiner Kindheit als Sinto, von dem Verlust seiner Familie und von seinem Leben als erfolgreicher und bekannter Florist. Er mahnt dabei, dass sich die Geschichte wiederholen könne. Inzwischen ist Zoni Weisz, den die Deutschen einst töten wollten, auch Träger des Bundesverdienstkreuzes. Zur aktuellen politischen Flüchtlingsdiskussion meint er: „Die meisten Menschen, darunter auch ich selbst, haben auf den großen Zustrom von Menschen keine passende Antwort. Bei mir überwiegt vor allem ein unangenehmes Gefühl, wenn ich jenen zuhöre, die unerbittlich alle aus dem Land werfen wollen. (…) Ich plädiere dann stets vor allem für Mitmenschlichkeit und Vernunft, denn die haben mir auch geholfen. Und ich warne vor Politikern, die die Flüchtlingsthematik für ihre eigenen Zwecke missbrauchen wollen. Sich die Ängste der Menschen zunutze zu machen, ist eine der ältesten Methoden des Stimmenfangs.“ Ernst Reuß Zoni Weisz, Der vergessene Holocaust, Mein Leben als Sinto, Unternehmer und Überlebender, dtv 2018, 320 Seiten, 26 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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