„Am Sonntag, den 31. August 1941, trifft der erste Transport von 448 Russen ein, unter denen sich drei Tote befinden. Ein Junge von 14 Jahren ist dabei, vier von 15 Jahren, sieben von 16 Jahren. Die Mehrzahl stammt aus der Gegend von Minsk. Es hagelt Schläge auf ihre ausgemergelten Körper. Die Leute bekommen dann mittags einen Liter Essen, und abends werden sie in Trupps von etwa 20 in einem geschlossenen Auto mit den Kennzeichen SS-19-367 abgeholt und in der dafür vorbereiteten Baracke umgelegt. Damit die übrigen Delinquenten nicht merken, was passiert, wird über einen Radiolautsprecher Musik dazu gespielt. Bis nachts um zwei oder drei Uhr sind alle Russen tot, anschließend beginnt die Verbrennung der Leichen,“ so ein KZ Häftling, der in der Schreibstube des Lagers zu arbeiten hatte.
Es war der „Kommissarbefehl“ vom 6. Juni 1941, der damals die Ermordung von vermeintlichen Politkommissaren „legitimierte“. Der Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht sollte zur „Vernichtung der bolschewistischen Kommissare und der kommunistischen Intelligenz“ führen. Dazu wurden in den Kriegsgefangenenlagern Juden, „Intelligenzler“ sowie Politfunktionäre ausgesondert und möglichst unauffällig in einem Konzentrationslager liquidiert. In Sachsenhausen wurden mindestens 13.000 sowjetische Kriegsgefangene systematisch ermordet. Zumeist mit einem Genickschuss. SS-Männer hatten sich dazu freiwillige gemeldet und wurden mit Orden, Geldprämien und einem Urlaub in Italien belohnt. An diesem als „Russen-Aktion“ genannten Massenmord waren neun Konzentrationslager beteiligt. Insgesamt wurden mindestens 38.000 Rotarmisten ermordet. Eine als Messlatte getarnte Genickschussanlage war dazu extra konstruiert worden. Einzeln wurden die Neuankömmlinge zu einer „Untersuchung“ geführt, bei der ein als Arzt verkleideter SS-Mann Häftlinge mit Goldzähnen mit einem X auf der Brust markierte. Das Gold wurde verwertet. Danach mussten sie sich die arglosen Gefangenen an eine Messlatte an der Wand stellen, hinter dem sich ein Schlitz befand, durch den der Genickschuss abgegeben wurde. Laute Marschmusik übertönte die Schüsse. Das Blut wurde anschließend sofort mit Wasser weggespült. Bis zum 15. November 1941 dauerte die Mordaktion an den Kriegsgefangenen, dann brach Fleckfieber aus. Außerdem änderte sich die Politik gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen. Nun sollten sie durch Hunger und Zwangsarbeit ausgerottet werden. Der Krieg schien länger zu dauern als vorgesehen und man wollte zuvor noch ihre Arbeitskraft ausbeuten. Der Ort der Genickschussanlage dient in Sachsenhausen heute als Gedenkstätte für die getöteten Kriegsgefangenen. Zwei SS-Leute fotografierten zu Propagandazwecken die ausgezehrten Soldaten bei der Ankunft im KZ Sachsenhausen. Dem deutschen Volk sollten sie als Beweis für die rassische Unterlegenheit der „slawischen Untermenschen“ dienen. Man sah jedoch nur bemitleidenswerte Menschen, soweit man noch nicht vom rassistischen Virus infiziert war. Einige wenige dieser Fotos sind erhalten geblieben und zeigen die namenlos gebliebenen Kriegsgefangenen kurz vor ihrer Erschießung in Sachsenhausen. Die Sonderausstellung mit diesen Bildern „Die Exekutionen müssen unauffällig im nächstgelegenen Konzentrationslager durchgeführt werden“ ist bis 18. Juni 2017 im Neuen Museum der Gedenkstätte Sachsenhausen zu sehen. Der Eintritt ist frei. Ernst Reuß Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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