Bettina Röhl ist die Tochter von Ulrike Meinhof und des ehemaligen Konkret-Verlegers Klaus-Rainer Röhl. Die Mutter eine RAF-Terroristin, der Vater ein bekannter Verleger und ein heftiger Rosenkrieg nach der Scheidung der Eltern machten es sicherlich nicht leicht für die Kinder. In ihrem neuen Buch „Die RAF hat euch lieb“, der Titel stammt aus einem Brief ihrer Mutter, arbeitet Bettina Röhl das Trauma ihrer Kindheit auf. Sie und ihre Zwillingsschwester wurden von der Mutter entführt und sollten in ein Waisenhaus in Palästina gebracht werden, denn Ulrike Meinhof wollte ihre Töchter nicht ihrem Ex-Mann überlassen. Im Übrigen ließ es die „Revolution“ nicht zu, nebenbei noch Kinder zu erziehen. Es folgten abenteuerliche Ereignisse, bis beide dann durch eine „Gegenentführung“ , an der maßgeblich auch der Journalist Stefan Aust beteiligt war, von ihrer Zwischenstation Sizilien wieder zurück nach Hamburg zu ihrem Vater gebracht wurden.
Der Titel des Buches illustriert sowohl die Distanzierung der Autorin von ihrer Mutter als auch die Verblendung damaliger Terroristen, die in der 68er Zeit durchaus viele Sympathisanten in der linken Szene hatten. Gerade Ulrike Meinhof, zuvor als kluge Journalisten anerkannt, erfuhr sehr viel Sympathie und wurde zu einer Art Revolutionsikone. Im Buch wird sie als eine sich immer mehr radikalisierende Frau gezeichnet, die es vielen Leuten schwer machte mit ihr umzugehen. Zunächst geht es jedoch allgemein um die Eltern der Autorin, um die Studentenbewegung und um die Gründung der RAF. Zum Schluss versucht Röhl, den „Mythos Meinhof“ zu zerstören und arbeitet sich an ihrer Mutter ab, die bei ihr nur sehr kurz die Mutterrolle spielte. 1970, nach der Befreiung von Andreas Bader, ging die radikalisierte Meinhof in den Untergrund. 1972 wurde sie festgenommen und 1976, als Bettina Röhl gerade 14 Jahre alt war, starb sie während ihres Gefängnisaufenthaltes in Stuttgart-Stammheim. Als Zeitdokument ist der Briefwechsel zwischen Meinhof und ihrem Anwalt Heinrich Hannover sehr interessant. Er zeigt, in welcher Blase sich Ulrike Meinhof befand und er enthüllt die Verirrung einer sich immer mehr isolierenden Frau, die selbst ihr Wohlgesinnte vor den Kopf stößt. Röhl zitiert seitenweise die Korrespondenz zwischen Meinhof und ihrem Anwalt und die wenigen Briefe, die diese an ihre Kinder schrieb. Außerdem führt die Autorin viele Interviews mit Protagonisten aus jener Zeit. Die große Schwäche des Buches ist allerdings die sehr deutlich werdende persönliche Betroffenheit der Autorin, denn Bettina Röhl wirft alles in einen Topf. So würden vor allem „die 68er“ und verblendete Richter, die bei dem Sorgerechtsstreit Rechtsbeugung begangen haben sollen, Schuld an der Entwicklung gehabt haben. Sie begeht dabei den Fehler, der damals auch von staatliche Institutionen, Politiker und Medien gemacht wurde: sie kriminalisiert und diffamiert alles Linke und Liberale. Das Buch wird so zu einer Abrechnung mit den 68ern und ihren Protagonisten. Sie schreckt nicht mal vor Angela-Merkel-Bashing zurück und bezeichnet sie „als Kopf der Schlange 68“. Mancher AFD-Wähler von heute hätte eine wahre Freude an dem Buch. Röhls Schlusswort ist bezeichnend: „Alle Bereiche der Politik sind heute in diesem Sinne von 68 bestimmt, sei es die Bildungspolitik, die Familien- und Genderpolitik, sei es die Europapolitik, die Energie- und Wirtschaftspolitik bis hin zur nicht vorhandenen Einwanderungspolitik. (…) Man könnte es auch so sagen: Meinhof war die Urmutter, Merkel ist heute die Königin der Antifa. Mit Macht hat sich Angela Merkel spätestens seit 2011 mit ihrer Energiewende als Kopf der Schlange 68 etabliert. Merkel, erst seit der Wende mit gesamtdeutscher Politik befasst, hat womöglich gemerkt, welchen politischen Wettbewerbsvorteil es bringt, auf der 68er-Frequenz zu agieren. Auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama war in diesem Sinne ein ››68er«. US-Präsident Donald Trump probt jetzt den Clash der Kulturen. Spannend zu beobachten.“ Ernst Reuß Bettina Röhl, „Die RAF hat euch lieb“, Die Bundesrepublik im Rausch von 68 - Eine Familie im Zentrum der Bewegung, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, München 2018, 640 Seiten mit 16 S. Bildteil, € 24,00 Comments are closed.
|
AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
|