Die Tatsache, dass Konrad Adenauer Nazis um sich duldete, ist kein Geheimnis. Es verwundert daher nicht, dass Adenauer sich in seiner Regierungszeit stark dafür einsetzte NS-Kriegsverbrecher aus den Gefängnissen herauszuholen, wobei Kriegsgefangene und verurteilte Kriegsverbrecher in einem Atemzug genannt wurden. Alte Seilschaften in Ministerien und Ämtern halfen ihren alten Kameraden ganz offiziell und ganz erheblich in rechtlicher und materieller Hinsicht. Verwunderlich ist jedoch, dass dies auch noch unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft geschah und man dabei die rechtsrevisionistische Diktion als auch die Argumentation der „Kriegsverbrecherlobby“ einfach übernahm. Warum das so war versucht der Historiker und Journalist Felix Bohr in seinem Buch „Die Kriegsverbrecherlobby - Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter“ herauszufinden. Ein kaum bekanntes Kapitel bundesdeutscher Vergangenheitspolitik.
Amnestieforderungen standen ab 1949 ganz oben auf der Agenda der Regierung Adenauers. „Sie waren von nationalem Interesse, auch weil sie dem Willen eines Großteils einer Gesellschaft entsprachen, in der etwa elf Millionen aus der Gefangenschaft heimgekehrte Soldaten einen wichtigen politischen Faktor darstellten.“, schreibt der Autor. Er fährt fort: „Dass es in ganz Europa Hunderte verurteilter NS-Täter gab, werteten viele Bundesbürger nicht als eine Konsequenz der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, sondern als ein Ergebnis der angeblichen Siegerjustiz ehemaliger Feindstaaten und der Alliierten. Das kollektive Verdrängen der deutschen Schuld ging in der einstigen Volksgemeinschaft einher mit einer Überakzentuierung des selbst erfahrenen Leids.“ Die „Schlussstrichmentalität“ war schon damals vorherrschend. Kein Wunder viele Bürger waren in NS-Verbrechen involviert. Verständnis gab es eher für die Täter, als für die Opfer des „Dritten Reiches“. Die Kriegsverbrecherlobby bestand meist aus alten Kameraden: dem „Verband Der Heimkehrer“, der „Stillen Hilfe“, der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“, aber auch aus Kirchenvertretern, Bundestagsabgeordneten und Diplomaten. Während Opfer des NS-Regimes um gesellschaftliche Anerkennung und Entschädigung kämpften, gab es für die „Kriegsgefangenen“ umfassenden Beistand. Nach dem Eichmannprozess ging man von Seiten des Staates von offener zu verdeckter Hilfe über, aber man unterstützte die in Haft befindlichen Kriegsverbrecher trotzdem über den sonst üblichen Rechtsschutz hinaus. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg waren auch in zahlreichen westeuropäischen Ländern NS-Kriegsverbrecher inhaftiert, wurden aber meistens entlassen, als die Bundesrepublik sich den westlichen Bündnissen anschloss. Lediglich in Italien und den Niederlanden blieben fünf Deutsche im Gefängnis. In Italien saß Herbert Kappler, der für eines der größten Massaker in Italien verantwortlich war. Im März 1944 ließ er 335 willkürlich ausgewählte italienische Geiseln erschießen, darunter einen 15-Jährigen. Einige davon ermordete er eigenhändig durch Genickschuss. Zuvor ließ er schon mehr als tausend römische Juden nach Auschwitz deportieren, nachdem er zuvor 50 Kilogramm Gold von den Gemeindevorstehern der jüdischen Gemeinde erpresst hatte. Für seine Taten war er 1948 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Verfahren gegen andere Beteiligte des Massakers wurden im nächsten Jahrzehnt von deutschen und italienischen Behörden unter den Tisch gekehrt. Kappler wurde damit zur Symbolfigur deutscher Kriegsverbrechen in Italien, aber auch zum „Märtyrer“ bei seinen Unterstützern. 1977 wurde er wegen einer Krebserkrankung in ein römisches Krankenhaus verlegt, woraus ihm, mit Hilfe seiner während der Haftzeit geehelichten Helferin und nunmehrigen Ehefrau, die Flucht gelang. In den Niederlanden saßen die nach dem Ort ihrer Inhaftierung bezeichneten. „Vier von Breda“. Sie hatten die Deportation von mehr als 100 000 niederländischen Juden und deren Ermordung zu verantworten, teilweise auch eigenhändig gemordet. Als einer von ihnen 1966 schwer erkrankt aus humanitären Gründen aus der Haft entlassen wurde, hatte es großen Unruhen in den Niederlanden gegeben. Die anderen blieben daher in Haft. Einer starb 1979 im Gefängnis, die Übriggebliebenen wurden erst 1989 aus der Haftanstalt entlassen. Willy Brandt hatte schon als Außenminister der Großen Koalition versucht die Begnadigung von Kriegsverbrechen zu erreichen. Es war nicht zuletzt Willy Brandts „Status als ehemaliger Exilant, der ihm einen hohen moralischen Anspruch und vergangenheitspolitisches Standing verlieh.“, schreibt der Autor. Den führenden Akteuren der Sozialdemokraten seien dabei alle vergangenheitspolitische Instrumente recht gewesen, um sich als staatstragende Partei zu etablieren. Es gab also durchaus innenpolitische Gründe für dieses Tun. Bei Brandt seien auch persönliche Motive ausschlaggebend gewesen. Der als „Vaterlandsverräter“ verumglimpfte Kanzler, wollte dieses Bild zurechtrücken. Möglicherweise sei sein Verhalten aber auch seiner Empathie geschuldet gewesen. Er soll Mitleid gehabt haben. Im Buch wird er mit den Worten zitiert: „Diese Kerle sind Schweinehunde, aber die sitzen so lange, die holen wir mal raus.“ Doch gelingen sollte das auch ihm nicht. Laut Schlusswort des Autors gilt es gerade jetzt die Kriegsverbrecherlobby und deren Erbe kritisch zu reflektieren, da geschichtsrevisionistische Überzeugungen wieder laut geäußert werden und im Bundestag vertreten sind. Alexander Gauland wurde in diesem nationalkonservativen Milieu politisch sozialisiert. Ernst Reuß Felix Bohr, Die Kriegsverbrecherlobby - Bundesdeutsche Hilfe für im Ausland inhaftierte NS-Täter, Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 558 Seiten, 28,00 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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