„Die Banalität des Guten“ heißt die Dissertation von Susanne Beer, in der sie sich mit Menschen befasst, die während der Nazizeit, ihren jüdischen Nachbarn Hilfe geleistet haben, den „stillen Helden des Alltags“. 1.000 Biographien wurden in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand über sie erstellt. Beer hat diese, und alles, was zum Thema noch zu finden war, ausgewertet und intensiv analysiert. Der Titel habe nichts mit einer vermeintlichen Gedankenlosigkeit der Beteiligten zu tun, sondern damit, dass die gewährte Hilfe zumeist „von einer Mischung aus Zufällen, günstigen Gelegenheiten und kleinen Gesten“ abhing, jedoch nicht von einem „heroischen Willensakt“, schreibt Beer.
Zwar sind hier namentlich nur 6.200 Untergetauchte bekannt, aber man geht von bis zu 15.000 „U-Booten“, so wurden sie damals bezeichnet, aus. Laut Beer überlebten höchstens ein Drittel aller Untergetauchten. Schätzungen gehen von 3.000 bis 5.000 Überlebenden aus. „Viele kamen durch Bombenangriffe ums Leben, denen sie ungeschützt ausgesetzt waren, da sie ohne Papiere keinen Zugang zu Luftschutzkellern und Bunkern hatten. Andere fielen Krankheiten zum Opfer, die in der Illegalität nicht angemessen behandelt werden konnten. Wieder andere wurden denunziert oder bei Kontrollen auf offener Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln verhaftet.“, schreibt die Autorin. Die Zahl der Helfer bewegte sich im unteren fünfstelligen Bereich. Es gab Hilfsnetzwerke und Helferkreise. Aber es gab auch Spannungen, Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch, sexuelle Dienstleistungen und sogar Vergewaltigungen unter den eng zusammengepferchten Helfern und Untergetauchten. Einige Helfer, die den Untergetauchten das Leben retteten, nutzen deren Lage schonungslos aus. Aber auch unter den sogenannten U-Booten gab es Erpressungsversuche, um noch mehr Hilfe zu erlangen, denn auch die Helfer konnten ja jederzeit denunziert werden. Man hatte sich gegenseitig in der Hand und die Grenzen zwischen Gut und Böse konnten durchaus verwischen, wie einige Biographien von Überlebenden zeigen. Trotzdem gab es viele Helden, die aus purer Menschlichkeit handelten, wie beispielsweise der Berliner Wilhelm Daene und seine Ehefrau Margarete. Als Abteilungsleiter eines Betriebes, dem jüdische Zwangsarbeiterinnen unterstellt waren, versuchte er zu helfen. Drei Jüdinnen wurden von dem Ehepaar versteckt. Zwei überlebten. Die Suizidrate unter den Juden verzehnfachte sich in Berlin nach Beginn der Deportationen, Untergetaucht haben dennoch bis zu 2.000 jüdische Berliner den antisemitischen Irrsinn überlebt. Erfolgreiche Geschichten sind allerdings bei solchen Geschichten eher in der Minderheit. Der Gestapo gelang es auch mithilfe jüdischer Greifer viele „U-Boote“ ausfindig zu machen. In der lesenswerten Dissertation von Susanne Beer wird von einigen dieser Einzelschicksale berichtet. Unter ihnen gab es zugleich viele tragische Geschichten, darunter die von Ilse Kassel und ihrer 5-jährigen Tochter Edith, die nicht überlebten; nach ihnen wurde inzwischen in Berlin-Hermsdorf ein Platz benannt. Mitunter wirken die erstellten Statistiken bei einer Grundgesamtheit von höchstens 52 ausgewerteten Schicksalen etwas bemüht, dennoch sollte man sich gerade die einzelnen Schicksale der Menschen vergegenwärtigen und gerade in heutigen Zeiten daran erinnern, dass Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit eine Tugend und kein Verbrechen ist. Nach dem Krieg mussten die überlebenden Opfer der Nazibarbarei viele bürokratische Hürden, manche davon erwiesen sich als unüberwindbar, meistern, um eine Entschädigung zu erlangen. Viele wanderten aus. Ernst Reuß Susanne Beer. Die Banalität des Guten, Hilfeleistungen für jüdische Verfolgte 1941–1945, Metropol Verlag, Berlin 2018, 385 Seiten, € 24.00 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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