Die Olympischen Spiele in Tokio 2020 sind coronabedingt inzwischen im Jahre 2021 zu Ende gegangen.
Das Buch und der Dokumentarfilm „Die kalten Ringe“ erinnert an die 57 Jahre zuvor erstmals in Asien durchgeführten Olympischen Spiele, die ebenfalls in Tokio und für die deutschen Athleten unter besonderen Umständen stattfanden. Es herrschte Kalter Krieg und der wurde auch zwischen der BRD und der DDR ausgetragen. 1961 wurde die Mauer gebaut, was zum Abbruch der deutsch-deutschen Sportbeziehungen führte. Es war eine Hochphase der Eiszeit zwischen Ost und West. Die Kubakrise im Oktober 1962 hatte der Welt gezeigt, wie nah man vor einem Atomkrieg stand. Trotzdem oder gerade deshalb verlangte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, dass DDR und BRD bei den Olympischen Spielen in Tokio 1964 mit einem gemeinsamen Team antreten, so wie schon 1956 und 1960. Es sollte der letzte gemeinsame Auftritt für viele Jahre sein. Doch diesmal gestaltete sich das Ganze noch schwieriger als bei den Spielen zuvor. Viele Verhandlungsrunden und erbitterte Ausscheidungswettkämpfe waren die Folge. In den Nato-Ländern gab es ein Einreiseverbot für Athleten aus der DDR, einige Wettkämpfe mussten daher in Prag oder Helsinki stattfinden. Während zuvor noch die BRD Athleten klar in der Mehrzahl waren, änderte sich das nun dank der Mannschaftssportler. Wer die meisten Sportler entsandte, stellte auch den Chef de Mission. Das war das Ziel der Funktionäre und Politiker, was zu einem engen Wettkampf um das begehrte Funktionärspöstchen führte. Entsprechende Tabellen wurden immer wieder in den Zeitungen aus Ost und West abgedruckt. Man trat zwar unter einer gemeinsamen Flagge an, die Mannschaften waren aber streng separiert. Ein Kontakt zwischen Ost und West war nicht gern gesehen. Karin Balzer, Goldmedaillengewinnerin und einer der Stars in jener Zeit, erinnert sich: „Wir waren wohl eine gesamtdeutsche Mannschaft, wir waren aber eine getrennte Mannschaft. Genauso hätten das Polen sein können - oder was weiß ich.“ Sie hielt Abstand zu Willi Holdorf, der ihr während seines Wettkampfs im Innenraum zum Goldmedaillengewinn gratulieren wollte. Karin Balzer stand unter besonderer Beobachtung der Stasi, nachdem sie 1958 in den Westen geflüchtet, aber unter Druck wieder in die DDR zurückgekehrt war. Im streng zwischen Ost und West unterschiedenen Medaillenspiegel wurde von ostdeutschen Zeitungen West-Berlin gesondert aufgeführt, weil der Klassenfeind sonst vor der DDR gelegen hätte. Das DDR-Fußballteam, welches die BRD-Amateurmannschaft in der innerdeutschen Qualifikation besiegte, hatte zwar keinen Kontakt zu Westsportlern, besorgte sich aber über andere Beziehungen westdeutsche Adidas-Schuhe und schwärzten vor den Spielen die bekannten drei weißen Streifen mit Schuhcreme. Tokio galt zu jener Zeit als eine der modernsten Städte der Erde. Es war eine vollkommen andere Welt. Noch heute sind die damaligen Athletinnen und Athleten merklich beeindruckt, wenn sie von damals sprechen. Japan war damals nur mit mehr als 24-stündiger Anreise und mehrmaligem Umsteigen zu erreichen. Für Willi Holdorf, Olympiasieger im Zehnkampf, war das „soweit weg wie der Mond“. Die Mannschaften reisten selbstverständlich getrennt an. Während die westdeutschen Sportler bei einer Zwischenlandung in Alaska Sightseeing machen konnten, wurden die ostdeutschen Sportler in ihrem Flugzeug festgehalten und durften amerikanischen Boden nicht betreten. Das und andere Anekdoten, wie beispielsweise die des Goldmedaillenseglers Willi Kuhweide, sind sehr kurios. Der erfuhr erst eine halbe Stunde vor der ersten Regatta, dass er starten durfte. Der ostdeutsche Segler Bernd Dehmel, auch ein aussichtsreicher Kandidat auf die Medaillen, musste auf Geheiß seiner eigenen Funktionäre die Segel kurz vor dem Start streichen. Basierend auf Erinnerungen von vielen Olympiateilnehmern und von interessantem Archivmaterial ist ein spannendes Stück Zeitgeschichte aufgearbeitet worden, das zum Schluss auch historisch eingeordnet wird, wobei auch das Prozedere bei vorherigen und nachfolgenden Olympischen Spielen zur Sprache kommt. Zeitzeugengespräche und Dokumente runden das Ganze ab. Absolut sehens- und lesenswert. Ernst Reuß Thomas Grimm/René Wiese (Hrsg.), Die kalten Ringe, Gesamtdeutsch nach Tokio 1964, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2020, 272 Seiten, einschließlich des Dokumentarfilms auf DVD Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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