True Crime ist angesagt und kann auf verschiedene Art und Weise erzählt werden. Der Autor Fred Sellin versetzt sich in seinem Buch „Nur Heringe haben eine Seele“ überzeugend in einen Serienmörder und Triebtäter hinein und erzählt einen auf Tatsachen basierenden Roman aus der Perspektive des Mörders. Der Titel beruht auf eine Weisheit des Serienkillers Rudolf Pleil, der zu wissen glaubte, dass Menschen keine Seele haben, denn das hätte er beim „Totmachen“ bemerkt. Bei Heringen sei das etwas anderes gewesen. Die traurige Lebensgeschichte eines Serienmörders von ihm persönlich erzählt, also. Die Morde selbst spielen da eher eine Nebenrolle. Es ist eine Lebensbeichte, immer wieder unterbrochen von aussagekräftigen Akten aus dem Niedersächsischen Landesarchiv. Anhand von protokollierten Aussagen und Gutachten, geht es dabei um ein Stück Zeitgeschichte und die Lebensumstände des Täters während der Nazizeit, die zu einer ständigen Verrohung führten.
Der in einem Dorf im sächsischen Erzgebirge geborene Rudolf Pleil war 23 Jahre alt, als er 1947 verhaftet wird. Er wird zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er einen Kaufmann aus Hamburg erschlagen hatte. Aber damit nicht genug. Pleil ist ein Serienmörder, was sich erst durch seine Prahlerei im Zuchthaus herausstellt. Er brüstet sich der „beste Totmacher Deutschlands“ zu sein und gesteht mehr als 25 Morde, zumeist an Frauen, um sie sexuell zu missbrauchen. Pleil ist geltungssüchtig und will den bisherigen „Star der Branche“ Fritz Haarmann übertreffen, dem 24 Morde zur Last gelegt wurden. Dieser Ehrgeiz trieb ihn auch dazu, detaillierte Aufzeichnungen über seine Taten anzufertigen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen. Pleil genoss die Aufmerksamkeit um seine Person und versuchte sich so oft wie möglich in den Mittelpunkt zu stellen. Die Mordserie am Zonenrandgebiet im Harz gehörte zu den größten Verbrechen der Nachkriegszeit und der anschließende Prozess gilt als das spektakulärste Gerichtsverfahren im Nachkriegsdeutschland, über das Medien im In- und Ausland berichteten. Pleil war als „Grenzgänger“ im Harz tätig und half zahlenden Menschen die Grenze illegal zu passieren. Fred Sellin hat für sein Buch Gerichts- und Ermittlungsakten eingesehen, darunter auch die von Rudolf Pleil eigenhändig auf 127 Seiten verfassten Geständnisse mit dem selbstgewählten Titel „Mein Kampf – von Rudolf Pleil, Totmacher a.D.“. Schreckliche Zeugnisse eines vollkommen harmlos und nett aussehenden, untersetzten kleinen Mannes, mit einer runden Intellektuellenbrille, der auf dem ersten Blick scheinbar kein Wässerchen trüben kann. Ein Intellektueller war er freilich nicht, wie man anhand seiner Aufzeichnungen sehen kann. Sellin versucht Pleils Ton zu treffen und schreckt dabei auch nicht vor grässlichen und nur schwer zu ertragenden Einzelheiten zurück. Pleil, war ein sadistischer Triebtäter, den Blut und die Taten erregten, so dass er auch ohne weiteres eigenes Zutun ejakulierte. Teilweise hatte er bei seinen Taten Komplizen, die scheinbar ähnlich brutal waren wie er, ohne dabei Triebtäter zu sein. Anfangs wird ihm aufgrund seiner Geltungssucht nicht geglaubt, später können ihm die Ermittler elf Morde und einen Mordversuch nachweisen. Viele der anderen von ihm gestandenen Fälle bleiben bis zum heutigen Tag ungeklärt. Da die Todesstrafe kurz zuvor abgeschafft wurde, wird er zu lebenslanger Haft verurteilt. 1958 erhängt er sich in seiner Zelle. Für Menschen mit starken Nerven absolut lesenswert! Ernst Reuß Fred Sellin, Nur Heringe haben eine Seele, Geständnis eines Serienmörders - der Fall Pleil, Droemer HC, München 2020, 320 Seiten, 20 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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