Die Biografie über einen hervorragenden, feinsinnigen Fußballer und späteren Fußballtrainer ist gleichzeitig auch ein historischer Abriss der neueren deutschen Geschichte.
Helmut Schön, der erfolgreichste Fußballtrainer der Welt, wurde 1915 als Sohn eines Dresdener Kunsthändlers geboren. Dort wurde der technisch versierte Stürmer zweimal deutscher Meister und erzielte für die Nationalelf in 16 Länderspielen 17 Tore. Zu mehr Länderspielen kam es nicht, was an seiner Verletzungsanfälligkeit und am Krieg lag, obwohl er auch während des „totalen Krieges“ nur wenige Wochen an die Front musste. Schöns Fußballerkarriere in der Nazizeit, sein Überleben im bombardierten Dresden, seine Konflikte mit Funktionären und sein Verhältnis zur Spielergeneration um Netzer und Breitner in den rebellischen siebziger Jahre, bilden die Geschichte Deutschlands in jenen Jahren ab. Schön war Nationaltrainer in der DDR, im autonomen Saarland - wo er zur WM-Qualifikation 1954 auf Sepp Herbergers Team traf - und später in der BRD. Erst als Assistenztrainer, ab 1964 dann als Cheftrainer. Schöns Karriere begann zwar während der Nazizeit. Ein Nazi war er trotzdem nie, ein Widerständler aber auch nicht. Politisch hielt er sich immer bedeckt, auch wenn jüdische Freunde der Familie Schön sich umbrachten oder deportiert wurden. In der frisch gegründeten DDR wurde er kurz Nationaltrainer, bevor er in Ungnade fiel und in den Westen floh. Schön wurde dann in der BRD Nachfolger von Sepp Herberger, was dieser anscheinend eher schwer verkraftete, denn nun lästerte er unentwegt über seinen Nachfolger, den er einst gefördert hatte. Kleinkarierte Boshaftigkeiten über seinen Nachfolger notierte er in seinem Nachlass, um sie der Nachwelt zu hinterlassen. Helmut Schön, ein eher konservativer Mann, pflegte einen ganz anderen Führungsstil als seine Vorgänger im Amt des Bundestrainers und gab den mündigen Spielern - so wie er selbst einer war - Mitspracherechte. Schön war bekannt für seine kultivierte Art und seine leisen Töne. Er galt als Schöngeist und Fußballästhet. Auch deswegen spielte die Nationalmannschaft unter Schöns Führung meist einen wunderbar offensiven und erfolgreichen Fußball, der noch heute Fußballromantiker vor Wonne seufzen lässt. Schön wurde gefeierter Zweiter und Dritter bei den Weltmeisterschaften 1966 und 1970. Er wurde mit Zauberfußball 1972 Europameister. 1974 wurde er sogar noch Weltmeister und 1976 nach Elfmeterschießen Vizeeuropameister. Nach seiner Karriere wurde es ruhig um ihn. Später bekam er Alzheimer. Schön starb am 23. Februar 1996. Das 2017 zum Fußballbuch des Jahres gewählte Buch von Bernd-M. Beyer ist nicht nur ein historisches Sachbuch, sondern auch ein Fußballbuch, denn die Berichterstattung einzelner Spiele kommt nicht zu kurz. Außerdem enthält es eine Unmenge bislang unbekannter Details, wie zum Beispiel Schöns lebenslange Freundschaft zu Ignatz Bubis, dem späteren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland. Ernst Reuß Bernd-M. Beyer, Helmut Schön, Eine Biografie, 2., durchgesehene Auflage, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2018, 544 Seiten, 28 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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