Über 500 Biographien zu Karl V., in dessen Reich die Sonne nicht unterging, gibt es bereits. Auch er selbst hatte schon 1550 seine Memoiren geschrieben. Trotzdem gibt es immer wieder Neues zu erfahren, wie auch in einem aktuellen und umfassenden Buch über Kaiser Karl.
Geoffrey Parker, einer der renommiertesten britischen Historiker, porträtiert darin äußerst akribischen den Lebensweg des Habsburgers, der im Jahre 1500 geboren und 1520 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurde. Sieben Kurfürsten entschieden darüber, wer Kaiser werden soll. Sie wurden mit „Wahlgeld“ vom richtigen Kandidaten überzeugt. Beinahe die Hälfte seines Lebens verbrachte Karl in den Niederlanden, ungefähr ein Drittel in Spanien und ein Sechstel in Deutschland. Den Rest verbrachte er auf seinen vielen Reisen und Feldzügen, bevor er 1558 starb. Er war der am weitesten gereiste Herrscher der Frühen Neuzeit. Karl, der zeitlebens an der vorstehenden „Habsburger Unterlippe“ litt, erbte von beiden Großeltern auch vier politisch eigenständige Reiche, darunter die eroberten Überseegebiete. Als gebürtiger Flame sprach er Französisch, Latein und Niederländisch, Deutsch und Spanisch sprach er eher schlecht. Gegen den französischen König Franz I. führte er zahlreiche Kriege um die Vorherrschaft im Zentrum seines Reiches. Beide Monarchen hatten die Idee eines friedlichen, einheitlichen Europas, in dem ein dominanter Machthaber den innereuropäischen Frieden sichern und das Abendland, sprich Europa, vor den Osmanen schützen sollte. Beide wollten dieser Machthaber sein. Karl V. setzte sich durch und wurde schließlich zum mächtigsten Herrscher der Welt. Den Protestantismus konnte er, trotz seiner Versuche und der „Reichsacht“ über Martin Luther, nicht wirksam eindämmen, denn das war nicht sein einziges Problem im riesigen Weltreich. Ohne die militärische Bedrohung durch die Osmanen hätte Karl die Reformation wohl unterdrückt, so der Autor. Karl war seit 1522 mit der sagenumwobenen Mary Tudor, Schwester des englischen Königs, verlobt. Trotzdem entschloss er sich zur Heirat mit Isabella von Portugal, der Tochter des portugiesischen Königs. Später sollte Mary Tudor seine Schwiegertochter werden. Mit seiner Gattin lebte er nur wenige Jahre zusammen, zumal diese stets in Spanien blieb - zeugte mit ihr aber einige Nachkommen. Uneheliche Kinder, zu denen sich Karl zum Teil bekannte, zeugte er allerdings auch. Die Ausbeutung des gewaltigen Vizekönigreich Neuspanien in Nord und Mittelamerika und des Vizekönigreichs Peru, halfen ihm bei seinen finanziellen Abenteuern. Auch die nach seinem Sohn benannten Philippinen gehörten zum riesigen Reich. Er regierte ein Imperium und der Autor musste viele Archive, Museen und Bibliotheken rund um die Welt für seine Biographie auswerten. Nicht einfach, wenn die dort aufgefundenen Quellen und eigenhändig geschriebenen Dokumente in unterschiedlichen Sprachen verfasst wurden, wegen der Handschrift nur schwer entzifferbar sind und räumlich weit auseinander aufbewahrt werden. Karl unterzeichnete mindestens 100 000 offizielle Dokumente und hinterließ mehr handschriftliches Material als irgendein anderer Herrscher aus dem damaligen Europa. Mit der 1532 verfassten Peinlichen Halsgerichtsordnung erließ Karl V. im Übrigen das erste allgemeine Strafgesetzbuch im Heiligen Römischen Reich, über das Juristen heutzutage immer noch staunen. 1556 trat Karl V. von seinen Herrscherämtern zurück und er machte seine zwei ehelich legitimen Söhne zu seinen Nachfolgern. Die Habsburger teilten sich daher in eine spanische und eine österreichische Linie. Er selbst zog sich nach seiner Abdankung in die abgeschiedene Extremadura zurück und bezog 1557 ein Haus, das an ein abgelegenes Kloster angeschlossen war. Er starb dort 1558 an Malaria, die in der Gegend grassierte. Man konnte dies allerdings erst 2004 anhand eines seiner Fingerglieder nachweisen Wer die 880 Seiten des Buches (von denen fast 300 Seiten Anhänge sind) mit seinen vielen Kriegen, Intrigen, Morden, Verhandlungen, Irrungen sowie politischen und religiösen Wirrungen der verschieden Herrscher Europas durchgelesen hat, wird an Game of Thrones erinnert. Dem Leser werden in Zukunft die EU-Gipfel und unsere heutigen Probleme wie harmlose Kaffekränzchen vorkommen. Vielleicht kann er dann unsere heutigen Errungenschaft und die EU eher zu schätzen wissen. Ernst Reuß Parker, Geoffrey, Der Kaiser. Die vielen Gesichter Karls V.. aus dem Engl. von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt, 880 Seiten, Darmstadt 2020,. wbg Theiss, 50 € Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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