Die 2013 gegründete Initiative „Gedenkort für die Opfer der NS-´Lebensraum´-Politik, die den vergessenen Opfern des Vernichtungskrieges eine Stimme und ein Gesicht“ geben will, organisierte eine Vortragsreihe, in dem verschiedene renommierte Historiker den „deutschen Krieg um Lebensraum“ analysierten. Diese Vorträge sind jetzt im Metropol Verlag in einem kleinen Sammelband erschienen und erinnern an fürchterliche Verbrechen.
Im Osten plante Hitler nach seinen eigenen Worten: „eine Germanisierung durch Hereinnahme der Deutschen vorzunehmen und die Ureinwohner als Indianer zu betrachten.“ Geplant war nicht nur der Überfall auf die Sowjetunion, sondern auch ein Vernichtungskrieg, um Platz zu schaffen für die anschließende Kolonialisierung. Mit Beginn der damaligen „Ostforschung“ meinte man, den „dreckigen“, „faulen“ und „primitiven“ Polen die deutsche Kultur beibringen zu müssen und war der Ansicht, Anspruch auf deren Land zu haben, allerdings ohne „polnische Läuse“ oder andere „rassisch minderwertige Ostvölker“. Über die Russen dachte man ähnlich. In einem Feldpostbrief hieß es: „Es ist ein Volk, das langer und guter Schulung bedarf, um Mensch zu werden. Charakter und Wesen der Russen gehören noch viel mehr ins Mittelalter als in die Neuzeit.“ Das Elend, das die Soldaten im Osten sahen, bestärkte diese Einschätzungen. Doch Hitler plante nicht diese Menschen zu schulen, sondern wollte sich einfach töten. Der „slawische Untermensch“ war in den Herrenmenschenphantasien schlichtweg überflüssig und man plante, die Einheimischen einfach verhungern zu lassen. Insgesamt neun Vorträge umfasst der Sammelband „Der deutsche Krieg um ´Lebensraum im Osten` 1939 -1945“. Darin analysiert zum Beispiel Ulrich Herbert kurz und prägnant, wie es zum Überfall auf die Sowjetunion, dem „Unternehmen Barbarossa“, gekommen ist. Wolfgang Wippermann plädiert für den „Erinnerungsort“, weil die nationalsozialistische Vergangenheit mitnichten bewältigt sei. Er erklärt den völkischen Nationsbegriff und die Herkunft des Begriffs „Lebensraum im Osten“. Er verweist auf Ernst Moritz Arendt, der die Auffassung vertrat, die Deutschen wären ein „reines“, „unvermischtes“ und „nicht verbastardetes Volk“. Auch hier geborene und assimilierte Juden passten einfach nicht „in diese Welt und in diesen Staaten hinein“. Die Parallelen zu heute sind teilweise erschreckend, denn ähnliche Stimmen – diesmal nicht die Juden betreffend - hört man leider auch heute wieder. Andere Historiker widmen sich der Besatzung in Serbien, der Zufälligkeit so mancher Verbrechen oder vergleichen die Behandlung von westlichen Gefangenen und gefangene genommenen „slawischen Untermenschenen“. Der „als letzter Preuße“ gerühmte Generalfeldmarschall von Rundstedt war der Ansicht, dass der Vorteil von russischen Gefangenen sei, dass man sie einfach erschießen könne, wenn sie nicht parieren. Axel Schildt setzt sich mit dem Antikommunismus und dem Umgang mit dem Krieg im Osten in der frühen Bundesrepublik auseinander und stellt fest, dass im Rahmen des „Kalten Krieges“ Goebbels Propagandisten genauso weiter gemacht hätten. Bekannte CDU - oder FDP -Wahlplakate aus jener Zeit stammten von eben diesen Nazipropagandisten und zeichneten das Bild vom „bösen Russen“. In der Adenauerzeit ging es deshalb immer um Stalingrad und den dabei gestorbenen „heroischen“ deutschen Soldaten, nie jedoch um Leningrad, wo über 1,1 Millionen Menschen bei der 29-monatigen Blockade meist verhungerten. Das hat sich bis heute kaum geändert. Deutsche Opfer wurden also gewürdigt, die weitaus zahlreichen sowjetischen Opfer im Osten jedoch nicht. Erst nach der Wende gab es erste zaghafte Versuche, diese Seite des Krieges auch in der Bundesrepublik zu thematisieren. So gebührt der 1995 eröffneten und umstrittenen Wehrmachtsausstellung Anerkennung dafür, dass sie die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Rolle der Wehrmacht, die zuvor als „heroisch“ galt, einleitete. Leider ist der Fokus des Sammelbands bezüglich der Aufarbeitung sehr auf die alte Bundesrepublik fokussiert. Interessant wäre es gewesen, auch etwas über die Aufarbeitung in der DDR zu lesen, um vielleicht nachvollziehen zu können, warum der seinerzeitige offizielle Antifaschismus nicht so nachhaltig gewirkt hat, um die im Augenblick dort offenbar werdende Geschichtsvergessenheit zu verhindern. In einer Zeit in der führende AfD- Politiker davon schwadronieren „stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“, wäre die Errichtung eines derartigen Gedenkortes mehr denn je wünschenswert. Damit würde die Bundesrepublik nach außen und nach innen dokumentieren, dass sie die historische Verantwortung für diese Opfer ernst nimmt. Dadurch könnte auch angesichts der gerade vorhandenen Spannungen mit Russland die Bereitschaft zur fortdauernden Erinnerung an die Notwendigkeit friedlicher Beziehungen deutlich gemacht werden und natürlich auch wegen den wütenden Massen, die Politiker als Volksverräter diffamieren und den Errungenschaften der Demokratie offenbar nichts abgewinnen können. Vielleicht können das wenigsten dann mal deren Kinder, denn dafür sind solche Erinnerungsorte da. Ernst Reuß Peter Jahn, Florian Wieler, Daniel Ziemer (Hrsg.), Der deutsche Krieg um ´Lebensraum im Osten` 1939 -1945“, Ereignisse und Erinnerung, Metropol Verlag, Berlin 2017, 195 Seiten, 19 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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