In Österreich wird das eigene Land gerne als das erste Opfer der faschistisch -nationalsozialistischen Aggressionspolitik angesehen. Dem war allerdings nicht ganz so. Es handelt sich dabei eher um eine Lebenslüge der österreichischen Demokratie, an der man wegen der daraus resultierenden unzureichenden Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus noch heute zu knabbern hat. Bereits vor dem Anschluss im Jahre 1938 gab es in Österreich faschistische Tendenzen, die der ehemalige Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien Emmerich Tálos als Austrofaschismus bezeichnet. Ein Begriff, der auch im heutigen Österreich unter Historikern nicht unbedingt goutiert wird.
Bereits 1933 hatte sich in Österreich ein autoritäres Herrschaftssystem etabliert, das sich stark an Mussolinis faschistischem Italien anlehnte, vom Vatikan unterstützt wurde und meist als Ständestaat bezeichnet wird. Man hatte alle Wahlen ausgesetzt, die KPÖ und die NSDAP wurden verboten, was kurze Zeit später auch den Sozialdemokraten widerfuhr. Eine staatlich kontrollierte Einheitsgewerkschaft wurde eingeführt. Die Regierung wurde mit allen Befugnissen ausgestattet und das Parlament ausgeschaltet. Die Justiz wurde gleichgeschaltet. Das Standrecht und damit die Todesstrafe wurden wieder eingeführt. Politische Häftlinge wurden in Lagern eingesperrt. Im nationalsozialistischen Deutschland war das nicht anders. Allerdings wurden in Österreich keine antijüdischen Rassegesetze erlassen, aber das Regime unternahm keinerlei ernsthafte Anstrengungen, um antisemitische Übergriffe zu unterbinden. Der stark vorhandene Antisemitismus in der Bevölkerung nahm dadurch schnell weiter zu. Von manchen wurde die diktatorische österreichische Regierung als das kleinere Übel angesehen. Man versuchte die Eigenständigkeit gegen den konkurrierenden deutschen Faschismus zu behalten, was aber letztendlich erfolglos blieb. Durch Anbiederung an Deutschland wollte man die Unabhängigkeit bewahren. Kanzler Dollfuß meinte, die „braune Welle“ nur dann aufhalten zu können, wenn man das, was die Nazis versprachen, selber macht. Ein schwerer Irrtum, an den sich heutzutage viele Politiker erinnern sollten. Dollfuß, der seine Theorie umzusetzen versuchte, sollte seinen Irrtum bald bitter bereuen, denn schon 1934 wurde er in seinem Amtssitz durch Nazis ermordet. Bis Juli 2017 hing ein Gemälde von ihm im Parlamentsklub der Österreichischen Volkspartei und alljährlich gab es dort Gedenkveranstaltungen. Unter dem Jubel der meisten österreichischen „Arier“ kam es schließlich schon im März 1938 zum „Anschluss“ und der dumpfe, braune Ungeist setze sich in Wien endgültig durch. Schon in den nächsten Tagen wurden wohlhabende Juden gezwungen, das Kopfsteinpflaster mit Zahnbürsten zu reinigen. Am Heldenplatz jubelten tausende fanatisch jubelnde Anhänger ihrem neuen Führer Adolf Hitler zu. Schon sein Autokonvoi von München nach Wien glich einem Jubelkorso für einen Heilsbringer. Der „Führer“ wurde auf seinem Weg frenetisch gefeiert und mit Blumen beworfen. Tálos resümiert, dass die politisch selbstgewählte Abhängigkeit vom italienischen Faschismus nur kurzfristig zur Sicherung der Selbständigkeit Österreichs beitrug und eine Schwächung der internationalen Stellung Österreichs zur Folge hatte: „Sobald sich Italien und Deutschland 1936 annäherten, war die italienische Schutzfunktion für Österreich obsolet. Die Bemühungen der Regierung Schuschnigg, die Beziehungen zum nationalsozialistischen Deutschland zu ‚normalisieren‘, endeten durchgängig in einem politischen Fiasko.“ Ernst Reuß Emmerich Tálos unter Mitarbeit von Florian Wenninger, Das austrofaschistische Österreich 1933-1938, Reihe: Politik und Zeitgeschichte, Bd. 10, 2017, 200 S., 19.80 EUR Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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