Helene Krebs, die ihrer jüdischen Cousine ein paar Tage Unterschlupf gewährt hatte, wird von einer befreundeten Nachbarin denunziert und festgenommen. Ihr arischer Ehemann versuchte am 3. Dezember 1942 mit einem ergreifenden Bittgesuch an die Gestapo in Düsseldorf die Überstellung seiner schwangeren Frau nach Auschwitz zu verhindern. Abgedruckt auf Seite 183 ff. des sehr lesenswerten Buches von Alfons Dür: Unerhörter Mut, Eine Liebe in der Zeit des Rassenwahns, Innsbruck 2013, EUR 9,95:
„Ich trete heute an die dortige Stelle mit einer Bitte für meine Ehefrau heran in der Hoffnung, daß dieser Bitte stattgegeben wird, wenn man die nachstehende Begründung auch nur in etwa berücksichtigt. Ich bin in der Bergischen Metallwarenfabrik Deppmeyer und Co. Solingen Saarstr. 10–13 und zwar Spezialfachmann als Werkzeugmacher und Vorrichtungsbauer. Ich glaube, von mir sagen zu dürfen, daß ich auf diesem Gebiet in der Firma der einzige bin, der als Spezialfachmann während des ganzen Krieges bei den kriegswichtigen Aufträgen meiner Firma meine Pflicht bis zum Letzten getan habe und nicht nur die vorgeschriebenen Stunden, sondern weit über 80 Stunden in der Woche gearbeitet habe. Ich bin Soldat des Weltkrieges und bei Verdun verwundet worden. Ich habe jetzt auch das Kriegsverdienstkreuz erhalten. Politisch habe ich mich früher nie betätigt und gehöre zu den Elementen, die bestimmt staatserhaltend sind, und mir nimmt man jetzt meine Frau. Weswegen? Wegen einer Unvorsichtigkeit, die ihr aus rein menschlichen Motiven unterlaufen ist. Ich weiß es, meine Frau ist Nichtarierin und hat infolgedessen im heutigen Staat kein Recht; aber sie ist nun einmal meine Frau und trägt ein Kind von mir unter dem Herzen. Seit Monaten ist sie nun verhaftet, weil sie einem jungen Mädchen, Edith Meyer, die Jüdin ist, ein Nachtquartier gewährt hat. Für mich ist das Leben nicht mehr lebenswert, wenn man mein Familienleben vernichtet. Die Familie meiner Frau lebt seit über 400 Jahren im Bergischen Land und auch die Geschwister sind alle mit Ariern verheiratet. In der Familie ist wirklich keine jüdische Gesinnung und keine jüdische Einstellung. Jetzt soll meine Frau nach Polen verschickt werden, und ich weiß nicht, wohin sie kommen soll und was aus ihr wird. Meine Bitte geht nun dahin, mich zu bewahren vor diesem Schicksalsschlag und zu berücksichtigen, daß ein deutscher Mann, der im Weltkrieg seine Pflicht getan hat und der jetzt jeden Tag, wie bei der Firma nachgeprüft werden kann, bis zum Letzten seine Pflicht für sein Vaterland tut und der jetzt ein Kind erwartet, auch eine Ehre im Leib hat und schließlich zugrundegeht und sein eigenes Leben vernichten muß, wenn er sieht, daß das Leben für ihn wirklich nichts mehr bedeutet. Ich bin bereit, jede Schuld auf mich zu nehmen, aber ich kann es nicht ertragen, daß das Menschenkind, mit dem man jetzt jahrelang verheiratet ist, in ein ungewisses Unglück hineingeführt wird, ohne daß man ihm helfen kann. Das kann auch, wenn es einen Herrgott gibt, unser Herrgott nicht gutheißen, und der Führer spricht stets von einem solchen Herrgott. Ich hoffe, daß das, was ich der dortigen Stelle unterbreitet habe, Berücksichtigung finden wird. Zum Schluß möchte ich bemerken, daß auch meine Frau ein Anrecht darauf besitzt, nicht nur Gnade, sondern auch Recht zu finden, denn ihr eigener Vater hat im Weltkrieg als deutscher Soldat sein Leben für Deutschland hingegeben. Ich bitte daher, mir meine Frau wiederzugeben. Heil Hitler Paul Krebs“ Gnade kannte das erbarmungslose Regime nicht. Das „Referat für Judenangelegenheiten“ lehnte ein Gnadengesuch ab, weil „mit der Zeugung eines Mischlings eine evtl. eintretende Evakuierung unmöglich gemacht und weitere Privilegien geschaffen werden sollten.“ Helene stirbt kurz nach ihrer Ankunft in Auschwitz. Gegen die Denunzianten wurde 1948 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, das jedoch eingestellt wurde, weil sich die vernommenen Polizei- und Gestapobeamten an den Fall nicht mehr erinnern wollten und die Gestapo-Akte nicht zur Verfügung stand. Ernst Reuß Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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