Hans Mommsen, einer der bedeutendsten deutschen Zeithistoriker, meinte bereits vor vielen Jahren: „Das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand ist eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte des Zweiten Weltkrieges.“
Obwohl bis zu 3,3 Millionen von 5,7 Millionen Gefangenen in den Lagern umgekommen sind und die sowjetischen Kriegsgefangenen somit neben den Juden diejenige Opfergruppe waren, die das schlimmste Schicksal im Zweiten Weltkrieg erleiden musste, wurde viele Jahre nichts Genaueres über sie ermittelt. Nach dem Krieg bestand nicht nur in Deutschland wenig Interesse am Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener. Anteilnahme erregten hierzulande meist nur das eigene Leid, die enormen deutschen Verluste in der Sowjetunion und das Schicksal deutscher Soldaten in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern - das allerdings nicht mit dem der sowjetischen Kriegsgefangen zu vergleichen ist. Die eigenen Verbrechen, soweit überhaupt zur Kenntnis genommen, wurden mit Taten der Alliierten aufgewogen. Die geschätzt 27 Millionen sowjetischen Opfer, darunter mehr als 13 Millionen Frauen, Kinder und Greise, interessierten da nicht. In Westdeutschland wurden Mahnmale, die von den Sowjets oder von Überlebenden der Kriegsgefangenenlager errichtet worden waren, beseitigt oder entschärft. Schon harmlose Inschriften waren offenbar dem Wirtschaftswunderdeutschen nicht mehr zuzumuten. Sollten gar Sowjetstern oder Hammer und Sichel auf den Denkmälern zu sehen sein, wurde dies in der noch jungen BRD häufig entfernt. Nicht verwunderlich, dass die von Deutschen verübten Massenmorde auf dem zwei Kilometer vom KZ Dachau entfernten SS-Schießplatz Hebertshausen, wo auch Verurteilte der SS- und Polizeigerichte hingerichtet worden sind, eher verschwiegen wurden. Nach dem Krieg will keiner davon gewusst haben, obwohl es nicht geheimgehalten werden konnte. Die Transporte zum Schießplatz wurden von Anwohnern registriert, die Schüsse konnten nicht überhört werden. Dort jedenfalls ermordete die Lager-SS 1941 und 1942 über 4 000 sowjetische Kriegsgefangene. Beginnend mit August 1941, trafen durchschnittlich alle zwei Wochen ungefähr 70 Gefangene in Dachau ein und wurden oft umgehend liquidiert. Einer der Täter, der stellvertretende Lagerführer Sebastian Eberl, bezeichnete die Massenexekution als ein „Schützenfest“. Ernsthafte Ermittlungen gegen ihn begannen erst Ende der 60er Jahre, aber aus angeblich gesundheitlichen Gründe verzögerte sich der Prozessbeginn bis zu seinem Tod in den 80er Jahre. Der 1974 in Dachau verstorbene Lagerführer Egon Zill war einer der wenigen der deswegen verurteilt, aber bereits nach acht Jahren wieder entlassen wurde. Die Opfer waren meist zuvor mit dem Kommissarbefehl vom 6. Juni 1941 aus anderen Kriegsgefangenenlagern in Bayern „ausgesondert“ worden. Sieben von den neun im Begleitband zur dortigen Open-Air-Ausstellung beschriebenen Opfern kamen aus dem Kriegsgefangenenlager im unterfränkischen Hammelburg. Insbesondere kommunistische Funktionäre, Angehörige der „Intelligenz“ (bspw. Lehrer, Studenten, höhere Beamte) und Juden fielen dem Massenmord zum Opfer, aber auch willkürlich ausgewählte einfache Soldaten. Man hatte schließlich ein gewisses „Soll“ zu erfüllen. In Hammelburg wurden jeweils zwei Güterwaggons angefordert. Wehrmachtssoldaten übergaben die aneinander geketteten Soldaten an das Einsatzkommando, die sie nach Dachau begleiteten, wo sie schließlich „sonderbehandelt“, sprich auf dem Schießplatz Hebertshausen erschossen wurden. Bis Januar 1942 wurden auf diese Weise 652 Soldaten „ausgesondert“. Im Lager Moosburg protestierten Wehrmachtsangehörige erfolgreich gegen dieses Vorgehen. Das blieb aber die Ausnahme. Auch wenn die Ermordung gefangener Soldaten gegen Heeresdienstvorschriften und Völkerrecht verstießen, wurde alleine wegen diesen Aussonderungen niemand bestraft. Man hatte ja nur Befehle befolgt und die meisten Taten waren schon verjährt, als man mit Ermittelungen begann. Die sowjetischen Soldaten stellten den größten Teil der Gefangenen in Hammelburg. Auch dort, wie in anderen Lagern, war die Todesrate von Sowjets am höchsten - sie galten schließlich als „Untermenschen“ und wurden dementsprechend behandelt. Knapp 3 000 von ihnen sollen im Friedhof „Am Felschen“ beigesetzt worden sein. Die Ermittlung von Namen ist noch nicht abgeschlossen. Die vorläufige Liste und Dokumente kann man hier einsehen: https://www.stsg.de/cms/sites/default/files/dateien/texte/Buch_Hammelburg.pdf Zwar wurde in Hebertshausen 1964 in privater Initiative ein Gedenkstein auf dem Schießplatz errichtet, doch erst nach langem Kampf wurde 2014 ein neugestalteter Erinnerungsort eröffnet. Noch zum 60. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion, wollte der örtliche Bürgermeister in einem Brief an die damalige bayerische Kultusministerin Monika Hohlmeier „nicht als neuer KZ-Ort im Landkreis Dachau“ abgestempelt werden. Heute gibt es dort eine sehenswerte Gedenkinstallation. Der bebilderte Begleitband zur Ausstellung enthält sieben Aufsätze zu verschiedenen Aspekten der Morde, der Motivation der Täter und zur Reaktion der Bevölkerung, außerdem neun Biografien von Opfern, darunter einem Überlebenden. Er, der im November 1941 schon vor Kälte zitternd nackt vor dem Erschießungskommando stand, überlebte nur deshalb, weil kurz bevor er an die Reihe kam, der Gestapobeamte den Befehl „Genug!“ ausgab. Für die Gedenkinstallation sollen nach nicht einfachen Recherchen bis jetzt ungefähr eintausend Opfer identifiziert worden sein. Weitere werden folgen. Ernst Reuß Gabriele Hammermann, Andrea Riedle (Hg.): Der Massenmord an den sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem SS-Schießplatz Hebertshausen 1941-1942, Wallstein-Verlag, Göttingen 2020, 208 Seiten, 20 Euro. Ernst Reuß, Gefangen! Zwei Großväter im Zweiten Weltkrieg, Berlin, erma 2013, 263 Seiten Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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