Ben Ferencz war gerade mal 27 Jahre alt, als er hochrangige SS-Offiziere vor Gericht brachte. Er klagte Mitglieder der „Einsatzgruppen“ an, jener SS-Killerkommandos, die skrupellos hunderttausende wehrlose Menschen ermordeten. Er ist der letzte noch lebende Chefankläger der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse.
Geboren wurde er in Siebenbürgen. Als Migrant kam er zusammen mit seinen Eltern in die USA und wuchs in äußerst ärmlichen Verhältnissen in verrufenen Stadtteilen von New York auf. Doch Ferencz war begabt, übersprang mehrere Schulklassen und bekam Stipendien. Trotz der prekären Verhältnisse, in denen er aufwuchs und eines gewissen Widerspruchsgeistes, schaffte er es, in Harvard erfolgreich Jura zu studieren. Zu seinem 100ten Geburtstag am 11. März 2020, den Ferencz gesund und munter feierte, erschien beim Piper Verlag ein Buch, in dem seine außergewöhnlich spannende Lebensgeschichte erzählt wird. Als junger Soldat der US-Armee war er der War Crimes Investigation zugeordnet und damit beauftragt, in Mauthausen, Dachau oder Buchenwald Beweismaterial für die Kriegsverbrechen der Deutschen zu sammeln. Es war für ihn kaum zu ertragen, was er dort sah. Er beschrieb das Grauen in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen, die im Buch immer wieder zitiert werden. Später kam er zurück nach Deutschland, obwohl er die Nase voll hatte von dem, was er da gesehen hatte. Er leitete für den US-Hauptankläger der Nürnberger Prozesse, Telford Taylor, ein Rechercheteam. In Berlin überlebte er und Taylor zusammen mit ihren Frauen durch einen mutigen Fallschirmabsprung eine Flugzeughavarie. Als er wiederum in Berlin von einem seiner Helfer drei prall gefüllte Aktenordner über „Ereignismeldungen“ aus der UdSSR auf den Schreibtisch gelegt bekam, wusste er, dass das für einen Prozess genügen würde. Sorgfältig war darin dokumentiert, welche Einheit an welchem Ort wie viele Menschen ermordet hatte. Er zählte mit einer Rechenmaschine die Opfer, bei einer Million hörte er auf. Doch da es zu wenig Personal für einen neuen Prozess gab, wurde er kurzerhand selbst zum Chefankläger ernannt. Es war sein erster Fall und sein wichtigster. Er konnte nur die schlimmsten Mörder anklagen, viele andere fielen durch die Maschen und führten im Nachkriegsdeutschland ein sorgenfreies Leben. Die meisten Deutschen hatten eher Verständnis für die Täter als für die Opfer. Trotzdem blieb Ferencz ein Menschenfreund. Sein ganzes Leben hat er dem Kampf für Recht und Gerechtigkeit verschrieben. Die Wiedergutmachung von Juden und Zwangsarbeiter war in den nächsten Jahrzehnten eine weitere wichtige Aufgabe für ihn. Adenauer unterschrieb das deutsch-israelische Wiedergutmachungsabkommen mit dem Stift, den Ferencz von seiner Frau als Glücksbringer geschenkt bekam, als er in den Krieg ziehen musste. Ben Ferencz war in der Nachkriegszeit auch einer der intellektuellen Wegbereiter des Internationalen Strafgerichtshofs. Das war auch der Grund, warum er 2011 mit 91 Jahren das Schlussplädoyer gegen einen kongolesischen Milizenführer halten durfte. Es war das erste rechtskräftige Urteil des Gerichts. Dem Historiker und Journalisten Philipp Gut ist mit dem Buch „Jahrhundertzeuge Ben Ferencz. Chefankläger der Nürnberger Prozesse und leidenschaftlicher Kämpfer für Gerechtigkeit“ eine interessante und sehr gut zu lesende Biographie eines erstaunlichen Lebens gelungen. Die Biographie über einen großen Mann und Humanisten, auch wenn er mit 1,55 m immer zu den kleinsten Männern gehörte. Der letzte Satz des Buches und dieser Rezension gehört ihm, der in den sozialen Medien immer noch äußerst aktiv ist: „Ich bedauere, dass ich nicht mehr so lange auf der Welt herumlungern kann, um zu sehen, wie alles läuft. Ich wünsche der Welt viel Glück!“ Ernst Reuß Philipp Gut: Jahrhundertzeuge Ben Ferencz. Chefankläger der Nürnberger Prozesse und leidenschaftlicher Kämpfer für Gerechtigkeit. Piper Verlag, München 2020. 352 S., 24 €. Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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