Spannend wie ein Krimi liest sich die Geschichte über Winfried Freudenberg, dem letzten Maueropfer in Berlin. Caroline Labusch hat die Geschichte zusammen mit Freunden recherchiert und das Ganze nun aufgeschrieben. Bereits 2015 hatte Labusch zusammen mit ihren Freunden ein Theaterstück zum Thema auf die Bühne gebracht; es hieß „Der Ballon – ein deutscher Fall“. Das Buch mit dem Titel: „Ich hatte gehofft, wir können fliegen“ ist die Geschichte einer Suche, die sie detailliert beschreibt. Gefunden wurden von ihr und ihren Freunden sowohl Zeitzeugen als auch die bisher öffentlichkeitsscheue Ehefrau des Toten. Sabine Freudenberg war damals 25 als sie mit ihrem 32-Jährigen Mann hatte flüchten wollen.
Das Ehepaar Freudenberg plante eine Ballonflucht, wie sie zwei Familien aus Thüringen gelang, deren Geschichte kurz danach in Hollywood verfilmt wurde. Den Ballon bauten die Freudenbergs aus Plastikfolien in ihrer Zwei-Raum-Wohnung am Prenzlauer Berg. Doch während damals in Thüringen die Flucht in einem selbst gebauten Heißluftballon glückte, ging diesmal alles schief. Da die Winde günstig wehten beschlossen Winfried und Sabine in der Nacht zum 8. März 1989 zu fliehen. Mit ihrem Trabi und dem 13 Meter langen Ballon fuhren sie gegen Mitternacht nach Blankenburg im Norden Berlins zu einer Kleingartenkolonie und zapften die dortige Gasreglerstation des VEB Energiekombinat an. Winfried war dort Ingenieur für Systementwicklung und hatte einen Schlüssel. Langsam füllt sich die Ballonhülle mit Erdgas. Das dauerte. In der abgelegenen Kleingartenkolonie, ungefähr acht Kilometer von der Mauer entfernt, war es wenig wahrscheinlich, dass sie entdeckt werden. Dennoch geschah es. Ein Kellner, der gegen 1.30 Uhr von seiner Nachtschicht nach Hause kommt, sah den Ballon und hatte nichts Besseres zu tun als sofort die Volkspolizei zu alarmieren. Um 2 Uhr stand ein Streifenwagen vor dem Grundstück. Überstürzt mussten die Freudenbergs starten. Da der Ballon nur halb gefüllt ist, startet Winfried allein. Die letzte Minute vor dem Abflug bleibt mysteriös. Sabines Sitz wurde abgeschnitten - Winfried saß auf einem Stück eines Besenstiels. Der Ballon flog viel höher als vorgesehen, zeitweise auf über 3000 Meter, und viel länger als geplant. Nicht eine halbe Stunde, sondern über fünf Stunden schwebte er über das West-Berliner Stadtgebiet, ohne landen zu können. Über Tegel fiel eine Tasche in die Tiefe, nich lange danach Winfried selbst. Gegen 7.30 Uhr stürzt er in Zehlendorf vom Himmel, kurz danach wäre er wieder über DDR-Gebiet gewesen. Die Absturzursache blieb letztendlich ungeklärt. Jede Flucht war ein Wagnis auf Leben und Tod. Nicht lange zuvor hätte Winfried bei einem Verwandtenbesuch in der Bundesrepublik bleiben können. Ob er wegen seiner Frau wieder zurückkam oder den Ballonflug kommerziell ausschlachten wollte bleibt letztlich offen. Es gibt bei den Zeitzeugen verschiedene Perspektiven und Erinnerungen sowie mehrere, sich widersprechenden Varianten. Acht Monate später wird die Berliner Mauer geöffnet. Winfried Freudenberg war ihr letztes Todesopfer, andere Grenzabschnitte forderten weitere Opfer. Ernst Reuß Caroline Labusch, Ich hatte gehofft, wir können fliegen, Die Geschichte einer tragischen Flucht im Frühling 1989, Penguin Verlag, München 2019 Paperback, 304 Seiten, € 14,00 Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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