Das Kammergericht Berlin wird in diesem Jahr offiziell 550 Jahre alt. Aus Anlass dieses Jubiläums wurde vom Kammergerichtspräsidenten Bernd Pickel eine von Michael Bienert verfasste und vom Verlag für Berlin-Brandenburg verlegte Würdigung dieses in Justizkreisen hoch anerkannten Gerichtes herausgegeben.
Das erstmals am 17. März 1468 urkundlich erwähnte Kammergericht, welches aber wohl schon einige Zeit zuvor existierte, ist das einzige deutsche Gericht, das auf eine derart lange Tradition zurückblicken kann. In seiner Funktion entspricht das Berliner Kammergericht den Oberlandesgerichten in den anderen Bundesländern. Nur zweimal wurde es für kurze Zeit nicht als Kammergericht bezeichnet, ansonsten behielt es bis heute seinen geschichtsträchtigen Namen - selbst in der vierzigjährigen Geschichte der DDR hielt man an der Bezeichnung „Kammergericht“ fest. Das Gericht ist aus dem durch den brandenburgischen Kurfürsten gegründeten Hof-Kammergericht hervorgegangen und übte in seinen „Kammern“ die oberste Gerichtsgewalt in seinem Herrschaftsbereich aus. Bienert erinnert mit zahlreichen Anekdoten an die lange Geschichte dieses Gerichts. Frühe Fälle, wie der berühmte Fall des Müllers Arnold, ein Rechtsfall aus der Zeit König Friedrichs II. von Preußen, der Prozess gegen Turnvater Jahn, oder die sogenannten „Polenprozesse“ fehlen ebenso wenig wie die Erinnerung an den gewissenhaften Kammer-Richter und Dichter E.T.A. Hoffmann sowie an die Spaltung der Justiz in Zeiten des Kalten Krieges. Die Schilderung von RAF-Prozessen und die Erinnerung an den Mord an Kammergerichtpräsidenten Drenkmann vervollständigen den Bericht über die Nachkriegszeit. Das Kammergericht gilt noch immer als ein Symbol der Rechtsstaatlichkeit, obwohl es zur Nazizeit für das Gegenteil stand. Der berüchtigte Vorsitzende des im Kammergericht tagenden Volksgerichtshofs, Roland Freisler, verkündete hier etwa 70 Todesurteile. Bienert geht kurz darauf ein. Aber auch das Kammergericht selbst hatte bereits seit 1933 gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Gegner des Naziregimes „Recht“ gesprochen und Menschen wegen Feindbegünstigung, Wehrkraftzersetzung und Landesverrat zum Tode verurteilt. Über die Schreibtischtäter, die sich dem Hitler-Regime ohne den geringsten Widerspruch anpassten und das Schicksal ihrer jüdischen Berufskollegen ohne auch nur eine Andeutung von Protest hinnahmen, ist nur wenig zu lesen. Das und manches mehr kann dieses Buch angesichts der gigantischen Materialfülle aus 550 Jahren Gerichtsgeschichte auch kaum leisten und der Autor hat auch nicht diesen Anspruch. Wer eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg erwartet, muss auf andere Bücher zurückgreifen. Ernst Reuß Michael Bienert, Das Kammergericht in Berlin: Orte – Prozesse – Ereignisse, Verlag für Berlin-Brandenburg 2018, Gebundene Ausgabe, 192 Seiten, 26 Euro Comments are closed.
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AutorErnst Reuß, geboren 1962 in Franken. Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen und Wien. Promotion an der Humboldt - Universität zu Berlin. Danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Freien Universität Berlin und im Bundestag beschäftigt. Archiv
März 2024
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